Gesetzentwurf:Wie die Regierung "Armutszuwanderung" eindämmen will

Lesezeit: 3 min

Wer betrügt, der fliegt: Mit dieser Kampagne hat die CSU die Republik im Wahlkampf provoziert. Jetzt hat die Bundesregierung Maßnahmen gegen die sogenannte Armutsmigration beschlossen. Der Entwurf sieht auch Ausweisungen und Einreisesperren vor - allerdings nicht so, wie die CSU das wollte.

Von Sebastian Gierke

  • Die Bundesregierung beschließt Maßnahmen gegen "Armutsmigration".
  • "Armutszuwanderung" ist ein Problem einzelner deutscher Regionen.
  • Der Gesetzesentwurf sieht Ausweisungen vor. Wiedereinreisesperren sollen gelten, wenn sich der Aufenthalt auf Rechtsmissbrauch oder Betrug gründet, Kindergeld soll nur noch gezahlt werden, wenn der Antragsteller eine Steuer-Identifikationsnummer vorlegt.
  • Kritik kommt von DGB und Caritas.

Es war ein zäher Kampf, bis der Kompromiss im Kampf gegen Armutsmigration verhandelt war. Bis Arbeits- und Sozialministerin Andrea Nahles (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU) heute das Maßnahmenpakt der Regierung gegen Sozialmissbrauch bei so genannten Armutszuwanderern verkündet haben.

Am Anfang der Debatte stand der provozierende Satz: "Wer betrügt, der fliegt." Daraus machte die CSU im Bundestagswahlkampf eine ganze Kampagne. Im Koalitionsvertrag, den Union und SPD nach der Wahl schlossen, wurde dann vereinbart, gemeinsam gegen "Anreize zur Migration in die sozialen Sicherungssysteme" vorzugehen. In der öffentlichen Debatte fügte die CSU diesem Satz allerdings immer wieder scharfe Formulierungen hinzu.

Bis zuletzt gab es Streitpunkte. Zum Beispiel, ob EU-Bürger in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland Kindergeld erhalten sollen. Die CSU war strikt dagegen und wollte so einen Missbrauch des Sozialsystems verhindern. CDU und SPD befürchteten, dass eine solche Regelung alle EU-Bürger treffen würde, etwa auch Belgier oder Franzosen.

Jetzt liegt der Gesetzentwurf vor. Die entscheidenden Punkte im Überblick:

  • Die Freizügigkeit soll nicht angetastet werden. Das betonten sowohl Nahles als auch de Maizière. "Die Freizügigkeit in Europa ist einer der großen Vorteile des europäischen Einigungsprozesses", erklärte de Maizière. Etwas anderes war allerdings auch nicht zu erwarten. Nahles betonte, dass es keine generellen flächendeckenden Probleme mit der Armutszuwanderung gebe, auch nicht aus Rumänien oder Bulgarien. Und die Freizügigkeit werde durch einzelnen Missbrauch nicht generell in Frage gestellt. Allerdings gebe es in bestimmten Regionen Deutschlands Schwierigkeiten. In einigen Kommunen sei es zur Verschärfung sozialer Probleme gekommen.
  • Die Kommunen, beispielsweise Gelsenkrichen oder Duisburg, sollen deshalb vom Bund noch für dieses Jahr eine Soforthilfe von zusätzlichen 25 Millionen Euro für die Unterbringungskosten erhalten. Das Geld kann noch in diesem Jahr an die Länder fließen, die es dann an die Kommunen weiterleiten, sagte Nahles.
  • Befristete Einreisesperren sollen dann gelten, wenn sich der Aufenthalt eines Zuwanderers in Deutschland auf Rechtsmissbrauch oder Betrug gründet. Sie können allerdings auch künftig nur in speziellen Fällen gegen Unionsbürger verhängt werden, denn die Wiedereinreise soll nur dann untersagt werden, "wenn ein besonders schwerer Fall vorliegt". Oder im Wiederholungsfall. Einfache Betrüger werden nicht zwangsläufig mit Einreisesperren belegt. Hier soll künftig, anders als die CSU das wollte, eine Kann-Bestimmung gelten.
  • EU-Bürger sollen sich nur noch sechs Monate in Deutschland aufhalten dürfen, um hier eine Arbeit zu suchen. Anschließend verlieren sie ihre Aufenthaltsgenehmigung, wenn sie keine wirkliche Aussicht auf Arbeit nachweisen können, führte de Maizière aus.
  • Der unberechtigte oder doppelte Bezug von Kindergeld, beispielsweise in Deutschland und dem Herkunftsland, soll verhindert werden: Es soll nur noch gezahlt werden, wenn der Antragsteller eine Steuer-Identifikationsnummer vorlegt. Dadurch sollen Datenabgleiche möglich werden, um zu verhindern, dass für ein Kind mehrfach Kindergeld gezahlt wird. Wohl auch damit die CSU ihr Gesicht wahren kann, wurde zudem ein Prüfauftrag in den Bericht mit aufgenommen. Laut de Maizière soll geprüft werden, ob das Kindergeld in der Höhe gezahlt wird, wie es im Herkunftsland des Zuwanderers üblich ist und zwar dann, wenn die Eltern in Deutschland, die Kinder aber noch im Heimatland leben.
  • Die "Erschleichung" von Aufenthaltsgenehmigungen solle unter Strafe gestellt werden, erklärte de Maizière.
  • Durch eine Änderung des Sozialgesetzbuches soll erreicht werden, dass die gesetzlichen Krankenkassen die Kosten für die Impfung von Kindern und Jugendlichen aus EU-Mitgliedsstaaten mit übernimmt. Insgesamt sollen sie im Rahmen verschiedener Programme um rund 200 Millionen Euro entlastet werden.

Kritik von Grünen, DGB und Caritas

Die Grünen kritisierten die Pläne als Verstoß gegen europäische Grundsätze. Die Drohung mit Wiedereinreisesperren gegen EU-Bürger wegen des Verdachts auf Sozialmissbrauch verletze EU-Recht und sei "blanker Populismus", erklärten die Fraktionssprecher für Innen- und Sozialpolitik, Volker Beck und Wolfgang Strengmann-Kuhn. Scharf kritisierten die beiden Grünen-Abgeordneten auch die geplanten Maßnahmen, die den missbräuchlichen Bezug von Kindergeld verhindern sollen: Damit trete die Regierung "die europäische Idee endgültig in die Tonne". Beck und Strengmann-Kuhn warfen der Regierung vor, keine Belege für den angeblichen "massenhaften Missbrauch der Freizügigkeit" vorzulegen.

Deutliche Kritik kam auch von der Caritas. "Die aktuelle Debatte um vermeintliche Armutszuwanderung und das betrügerische Erschleichen von Sozialleistungen durch EU-Zuwanderer macht Vorurteile und Diskriminierung salonfähig", erklärte Caritas-Präsident Peter Neher. Die Politik zeichne ein verfälschtes Bild der Situation. "Es gibt keinen Beleg für einen höheren Sozialleistungsbetrug von Rumänen und Bulgaren."

Der Deutsche Gewerkschaftsbund bemängelt, der Bericht behandele fast ausschließlich den Zuzug aus den mittel- und osteuropäischen Ländern. Herausforderungen, die sich aus der Abwanderung aus den südeuropäischen Krisenländern ergeben, würden ausgeblendet.

Zahlen zur Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien

Dem Abschlussbericht der Regierung zufolge ist die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien stark gestiegen, aber auf insgesamt eher niedrigem Niveau. Die Zuwanderung von Bürgern aus beiden Ländern stieg demnach zwischen 2004 und 2012 von 35.000 auf knapp 181.000.

Am 31. Dezember 2013 wohnten 3,1 Millionen EU-Bürger in Deutschland, am 31. Dezember 2012 waren es noch 2,8 Millionen gewesen.

Linktipp:

- Jannis Brühl und Kathrin Haimerl haben sich bereits Anfang des Jahres dem Mythos Arbeitsmigration gewidmet.

Mit Material von AFP.

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