Gaddafi-Vertrauter Kussa:Rückkehr eines Ungewollten

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Einst verhandelte er mit Bush und Blair für Gaddafi - jetzt hat er sich von dem Despoten losgesagt: Libyens Außenminister Mussa Kussa ist nach London geflohen und hofft dort auf "gute Behandlung". Doch Großbritannien lehnt eine Straffreiheit ab.

Kathrin Haimerl

Es ist ein schwerer Schlag für den libyschen Machthaber Muammar al-Gaddafi: Außenminister Mussa Kussa ist von seinem Amt zurückgetreten und nach London geflohen. Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge habe er die Flucht damit begründet, dass er die Angriffe auf die Zivilbevölkerung nicht habe mittragen können.

Hofft auf gute Behandlung in Großbritannien: der ehemalige Gaddafi-Vertraute und zurückgetretene libysche Außenminister Mussa Kussa. (Foto: AFP)

Am Mittwochabend sei er in einer Maschine aus Tunesien auf dem Flughafen Farnborough südwestlich von London gelandet, berichtet die BBC. "Er sagte uns, er sei von seinem Posten zurückgetreten", zitiert der britische Guardian einen Beamten des Außenministeriums. Der 59-Jährige habe erklärt, dass er nicht mehr bereit sei, Gaddafis Regime auf internationaler Ebene zu vertreten. Kussa sei aus "freien Stücken" nach Großbritannien gereist, teilte das Außenministerium in London weiter mit.

Die Daily Mail berichtet allerdings, Kussa habe sich dem Druck des britischen Geheimdiensts MI6 gebeugt. Das Blatt bezeichnete die Flucht des libyschen Außenminister als diplomatischen Coup des britischen Premiers David Cameron. Kussa wird derzeit von britischen Geheimdienstlern verhört: Sie erhoffen sich von dem früheren Gaddafi-Vertrauten Insider-Informationen über die Lage in Libyen.

Allerdings bedeute dies nicht, dass Kussa auf Immunität vor der britischen oder internationalen Gerichtsbarkeit hoffen könne, sagte der britische Außenminister William Hague. Großbritannien lehne eine grundsätzliche Straffreiheit für Kussa ab. Seine mögliche Verwicklung in Straftaten müsse geprüft werden. Hague sagte einem BBC-Bericht zufolge weiter, der Rücktritt Kussas zeige, dass Gaddafis Machtbasis "von innen am Bröckeln sei". "Gaddafi muss sich fragen, wer sich als nächstes von ihm abwendet", so Hague.

Kussa ist nach Angaben der tunesischen Agentur TAP am späten Mittwochnachmittag vom Flughafen der Insel Djerba aus gestartet, die unweit der libyschen Grenze liegt. Zuvor hatte TAP bereits Spekulationen über eine mögliche Flucht ausgelöst, als sie berichtete, Kussa sei nach einem kurzem, angeblich privaten Besuch in Tunesien in Richtung London aufgebrochen. Von Seiten der libyschen Regierung hieß es hingegen, Kussa sei auf einer "diplomatischen Reise".

Der Außenminister galt als einer der engsten Vertrauten Gaddafis - und als sein wichtigster Mann bei Verhandlungen mit dem Westen. Besondere Beziehungen hat Kussa zu Großbritannien: 1980 war er Botschafter seines Landes in London.

Von 1992 bis 1994 fungierte er als Vizeaußenminister, von 1994 bis 2009 leitete er den libyschen Auslandsgeheimdienst. Kussa hatte maßgeblichen Anteil an der Wandlung Libyens vom Schurkenstaat hin zu einem wenigstens teilweise respektierten diplomatischen Partner im Westen: Er vereinbarte 2003 nach langen, zähen Gesprächen mit US-Präsident George W. Bush und dem damaligen britischen Premier Tony Blair Gaddafis Verzicht auf Massenvernichtungswaffen.

Allerdings spielte der einstige Vertraute des libyschen Machthabers hier eine dubiose Doppelrolle: Einem Bericht des Londoner Observer zufolge bestand die Leistung der Libyer weniger in der Verzichtserklärung, als Einzelheiten über mehrere Aktivisten mit Verbindungen zu al-Qaida geliefert zu haben. Kussa dürfte hier einige Einblicke haben, denn schließlich beschrieb ihn ein Porträt des britischen Geheimdienstes 1995 als Chef der wichtigsten Geheimorganisation Libyens, "verantwortlich für die Unterstützung terroristischer Gruppen und für die Ausführung von staatlich geförderten Terrorakten".

Es entbehrt also nicht einer gewissen Ironie, wenn Kussa nun in Großbritannien Unterschlupf sucht. Denn in den 1980er Jahren, in seiner Zeit als libyscher Botschafter in London also, wurde er des Landes verwiesen: Man beschuldigte ihn, hinter der Terroranschlägen auf im Exil lebender Libyer zu stecken. In einem Interview hatte er die Ermordung Oppositioneller befürwortet. Die Daily Mail bezeichnet Kussa denn auch als Gaddafis "Botschafter des Todes".

Kussa gilt in Großbritannien als möglicher Drahtzieher hinter dem Attentat auf eine Maschine der US-Fluglinie Pan Am über dem schottischen Ort Lockerbie im Jahr 1988, bei dem 270 Menschen starben. 2009 war er an den Verhandlungen über die Freilassung des Attentäters Abdel Bassit Ali Mohammed al-Megrahi beteiligt. Einen Tag nach seiner Freilassung aus einem schottischen Gefängnis wurde dieser in Tripolis jubelnd empfangen, was bei Angehörigen der Opfer in Großbritannien und in den USA für Empörung gesorgt hatte. Al-Megrahi war wegen einer angeblich tödlichen Krebserkrankung begnadigt worden.

Die Ankunft Kussas in London hat bei den Hinterbliebenen Hoffnungen geweckt, endlich Klarheit über die Hintergründe des Terroranschlags zu erfahren: "Dies ist ein großer Tag für uns", sagte Jim Swire, der seit Jahren um die Aufklärung des Anschlags kämpft. "Dieser Mann weiß alles. Er kann uns alles sagen, was das Gaddafi-Regime wusste", sagte Swire der Nachrichtenagentur PA.

Ehemaliger Vertrauter repräsentiert das neue Libyen

Das Außenministerium in London hofft, dass andere es ihm gleichtun: "Wir ermutigen jene im engen Zirkel um Gaddafi, sich von ihm abzuwenden im Sinne einer besseren Zukunft für Libyen, die einen politischen Wandel sowie wirkliche Reformen ermöglicht, um der Sehnsucht des libyschen Volks nachzukommen", zitiert der Guardian einen Sprecher der Behörde. Ein hochrangiger US-Vertreter schätzt den Rücktritt Kussas als "sehr bedeutend" ein; dies zeige, dass das Umfeld Gaddafis kein Vertrauen mehr in die Stabilität der Führung in Tripolis habe.

Kussa ist nicht der Erste, der sich von Gaddafi abwendet: Nach blutigen Zusammenstößen mit den libyschen Rebellen hatten auch andere dem libyschen Machthaber die Gefolgschaft verweigert. Neben mehreren Offizieren sagten sich der ehemalige Justizminister Mustafa Abdul Dschalil sowie einer der wichtigsten Ökonomen in Tripolis, Mahmud Dschibril, von Gaddafi los. Letzterer repräsentiert nun das neue Libyen: Dschibril ist zum Chef der provisorischen Gegenregierung in Bengasi ernannt worden. Die libysche Regierung hat ihren Botschafter bei den Vereinten Nationen und dessen Stellvertreter entlassen. Angesichts der Gewalt gegen die Protestbewegung hatte sich auch der bisherige UN-Botschafter Libyens, Mohammed Schalgham, von Gaddafi losgesagt.

Offen ist, ob Kussa Großbritannien um politisches Asyl bitten wird. Zu den Plänen des früheren libyschen Außenministers lässt der Guardian den in London lebenden Libyer Noman Benotman zu Wort kommen, angeblich ein Bekannter Kussas: "Er bittet um Unterschlupf und hofft, dass er gut behandelt wird." Benotman, einst Anführer einer Gruppe Dschihaddisten, die Gaddafi stürzen wollten, hatte sich vor Jahren vom Terror losgesagt, und betreibt nun Anti-Terrorismus-Forschung für einen Londoner Think-Tank.

Jedenfalls wäre Kussa wäre nicht der erste Libyer, der sich in London wohlfühlte: Lange Zeit galt die britische Hauptstadt als eine Art Niederlassung des Gaddafi-Clans. Erst vor wenigen Jahren hatte einer von Gaddafis Söhnen sich im Londoner Nobelviertel Hampstead für zehn Millionen Pfund ein Acht-Zimmer-Herrenhaus mit Sauna und Pool zugelegt. Die Villa wird nun seit Anfang März von einer Gruppe von Hausbesetzern belagert, die sich selbst "Topple the Tyrants" nennt. Man traue der britischen Regierung nicht, dass sie tatsächlich das Vermögen der Familie Gaddafis einfrieren würde, ließ die Gruppe erklären, und hisste die Flagge der libyschen Rebellen auf dem Hausdach der Gaddafi-Villa.

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