G-8-Kampagne mit Twitter und Kreide:Über Tweets nach Camp David fahren

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Aus diesem hydraulischen Anhänger kommt kein Salz und auch keine Putzflüssigkeit, sondern bunte Kreide - die Twittermeldungen als Grafitti auf Zeit auf die Straße malt. So lustig und farbenfroh die Aktion aussieht: Sie ist politischer Protest gegen den G-8-Gipfel in den USA.

Sarah Ehrmann

Solche Anhänger kennt man in Deutschland eigentlich aus dem Winter, wenn flach über dem Boden Salz auf Straßen und Wege geschleudert wird. Ein bisschen erinnert der schwarze Hänger mit den Schläuchen auch an einen hydraulischen High-Tech-Reinigungsroboter, der nächtelang durch Museen, Bahnhöfe und Eingangshallen gefahren wird.

Twitter-Nachrichten auf der Straße - die bunten Schriftzüge sollen die Einflussreichen zum Handeln bewegen.  (Foto: One o.h.)

Doch der sogenannte Street Tweeter hat mit Reinigen oder Salzstreuen nichts zu tun. Sondern er ist vielmehr ein mobiler Drucker, der statt Druckpapier die Straße benutzt und statt Tinte eine wasserfeste Kreidesubstanz ausspuckt. Die Kalkdüse kann so programmiert werden, so dass sie, ähnlich wie ein Tintenstrahldrucker, Buchstaben druckt. Beim diesjährigen G-8-Gipfel vom 18. bis 19. Mai 2012 im amerikanischen Camp David wird die Maschine im Einsatz sein und Texte auf die Straße sprühen, fünf Meilen Text in der Stunde, um genau zu sein. Und: Der Street Tweeter übersetzt die digitale Welt wieder in die analoge zurück - ein Rückschritt als Fortschritt oder anders herum?

Appell in 40 Zeichen

Ein gutes Stück der berühmten Pennsylvania Avenue in Washington D.C. wird so zum Schreibpapier: für Tweets. Ausgedacht hat sich die Aktion die NGO "One", die von Bob Geldorf und Bono mitgegründet wurde, und die damit ihre Anti-Hunger-Kampagne "In die Zukunft säen" bekannter machen will. Durch die Tweets wird ein ungreifbares Medium greifbar, und damit möglicherweise abstrakte Begriffe wie Hunger oder Not.

Ziel sei es, möglichst viele aussagekräftige Twitter-Botschaften zu drucken, die in 40 Zeichen einen Appell an die Staats- und Regierungschefs des G-8-Gipfels darstellen sollen, wie Sergius Seebohm, Sprecher von One in Deutschland erklärt. "So soll Druck auf die G 8 ausgeübt werden, damit diese jetzt handelt und den Teufelskreislauf von Hunger und Armut durchbricht."

"Listen to silly music"

Seit einigen Tagen ist der Account @OneStreetTweet geöffnet, an den jeder, der sich beteiligen will, Nachrichten twittern kann. Stolz ist Seebohm auf die Prominenten, die sich an der Kampagne beteiligen. So twitterte Jan Josef Liefers bereits "Wir haben den Hunger satt!/We are fed up with hunger!", Anna Loos' Botschaft ist: "Listen to SILLY music, stop SILLY hunger!". Lisa Fitz lässt an die G 8 ausrichten: "Mensch vor Profit. Mach dein Herz auf." Für Minh-Khai Phan-Thi wird gedruckt: "G 8: haltet Euer Versprechen für eine Welt ohne Hunger!" und Culcha Candela twitterte: "Grow a pair - start acting fair."

Bei der Tour de France 2010 kam ein Gerät wie der Street Tweeter schon einmal zum Einsatz - für Lance Armstrongs Livestrong-Kampagne. Angelehnt an dessen einstige Krebserkrankung und sein Engagement gegen Krebs prangten vor allem bunte Ermutigungen, Bitten und Dankeschöns auf dem Straßenasphalt, über den kurz darauf die Rennräder der Radfahrer sausten.

Die jetztige Kampagne von One erinnert ein wenig an die #Cop17-Aktion, die beim Klimagipfel der Vereinten Nationen im Winter vergangenes Jahr für magische Verzückung gesorgt und erst am Wochenende beim Frankfurter Werbegipfel ADC den ersten Preis und den Grand Prix Sonderpreis abgeräumt hatte. Die Echtzeit-Twitter-Aktion übersetzte jeden Tweet, der während des Gipfels unter dem Hashtag Cop17 einging, in einen leuchtenden Punkt und ordnete die Punkte nach Themen. Aus jedem Thema erwuchs dadurch ein Baum, der größer wurde, je mehr Tweets dazu folgten. Am Ende hatte sich eine futuristisch anmutende Simulation aus Bäumen gebildet, die symbolisch die Weltkugel bewuchern. Ein passendes Signal für einen Klimagipfel.

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Die Street-Tweeter-Kampagner verläuft zwar nicht in Echtzeit, da die Maschine vor dem Start programmiert werden muss. Die Botschaft der Macher ist aber konkret auf den G-8-Gipfel zugeschnitten - wenn es denn klappt, ein Stück der Straße, die von Washington D.C. nach Camp David führt, bedrucken zu können, was bisher nach Aussage von One-Sprecher Seebohm noch nicht sicher ist. Dann müssten die Abgeordneten über die Wünsche und Forderungen der Bürger gehen oder fahren, ohne sie ignorieren zu können - außer sie nehmen einen Umweg. "Das ist eine neue Art, wie Menschen ihre Meinung äußern können, und wie man ihnen eine Stimme geben kann", sagt One-Sprecher Seehbohm.

One ist seit Jahren besonders während des G-8-Gipfels aktiv und zielt dabei auch auf räumliche Nähe ab. Im Jahr 2008 gab es eine Aktion in Japan, bei der der Künstler Anthony Gormley mit etwa tausend Menschen das japanische Zeichen für Mensch und die Silhouette einer Person abbildete, um zu verdeutlichen, dass die politischen Entscheidungen nicht abstrakt sind, sondern Menschen betreffen.

Beim G-20-Gipfel in Pittsburgh bemalten 30 Künstler und 20 Kinder zusammen eine fast 200 Meter lange Wand im Zentrum von Pittsburgh. Zum G-20-Gipfel in Paris wurden politische Statements auf das Rathaus in Paris projeziert.

Auch beim diesjährigen Gipfel unter US-amerikanischem Vorsitz durch Präsident Barack Obama in Camp David wollen die Street-Tweeter-Organisatoren so nah wie möglich an die Tagungsgebäude herankommen: "Einzelne Botschaften werden möglicherweise auf Pappe geschrieben und noch näher an den Tagungsort getragen", sagt Seebohm. Das wäre dann total analog. Nur, vielleicht sei eine Auswahl nötig: "Es könnte passieren, dass wir mehr Botschaften als Straße haben." Er verspricht jedoch: "Alle Nachrichten, die live gedruckt werden, werden fotografiert und dann dem Absender zurückgeschickt und in einer Fotogalerie auf ONE.org veröffentlicht."

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