Freihandel:Kleine Region ganz groß

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Eigentlich war man sich am Mittwoch schon fast einig, doch die Wallonen haben sich bis Donnerstag gegen Ceta gesperrt. Sie wollten den Gipfel der EU mit Kanada offenbar platzen lassen.

Von Daniel Brössler

Irgendwann ist Schluss. Tag um Tag haben sie sich im Brüsseler Ratsgebäude ans Prinzip Hoffnung geklammert. Mal twitterte EU-Ratspräsident Donald Tusk, es sei noch Zeit. Mal verkündete er, ein baldiger Abschluss sei immer noch möglich. In der Nacht zu Mittwoch, etwa eine Stunde vor Mitternacht, ging das nicht mehr. Zwar hatte die kanadische Handelsministerin Chrystia Freeland eben noch von Ottawa aus versprochen: "Wenn es ein Abkommen zu unterschreiben gibt, wird Kanada da sein." Aus dem Brüsseler Palais Egmont aber, wo die belgische Regierung mit den Regionen des Landes verhandelte, drang die Kunde ins 2,5 Kilometer entfernte EU-Ratsgebäude, dass man sich wieder vertagt habe. Damit war klar, dass beim eigentlich für den Nachmittag geplanten EU-Kanada-Gipfel keine Unterschrift unter das Freihandelsabkommen Ceta zu setzen sein würde. Bis der kanadische Ministerpräsident Justin Trudeau seinen Flug nach Brüssel cancelte und der Gipfel offiziell verschoben wurde, dauerte es dann nur noch ein paar Stunden.

"Da nicht alle EU-Staaten bereit sind, Ceta zu unterschreiben, kann der EU-Kanada-Gipfel heute nicht wie geplant durchgeführt werden. Kanada bleibt bereit zur Unterschrift, wenn Europa so weit ist", wurde trocken mitgeteilt. Da schwang Verbitterung mit und die Ahnung, dass es den Wallonen genau darum gegangen war: symbolträchtig den Gipfel platzen zu lassen. Schon am Mittwochabend nämlich hatte es bei den Verhandlungen der Belgier offenbar kaum noch inhaltliche Differenzen gegeben. Als man sich dann am Donnerstagvormittag wieder versammelte im Palais Egmont, dauerte es denn auch nicht mehr lang. Ministerpräsident Charles Michel konnte am Mittag mitteilen, dass die Spitzen der belgischen Regionen und Sprachgruppen sich auf einen gemeinsamen Text für eine Klarstellung zu Ceta verständigt hätten. Dieser trage ihren Bedenken gegen Schiedsgerichte für Investoren Rechnung, wie auch den Befürchtungen, dass das Abkommen zu Nachteilen für belgische Landwirte führen würde. Es geht da unter anderem um die theoretische Möglichkeit, im Notfall Importstopps etwa auf Rindfleisch zu verhängen. Das Abkommen soll Zölle zwischen der EU und Kanada praktisch abschaffen und die Standards angleichen.

Minderheitenvotum: Zwar protestierten linke Abgeordnete diese Woche gegen Ceta, doch gilt die breite Zustimmung des Europäischen Parlaments als sicher. (Foto: Vincent Kessler/Reuters)

"Gute Neuigkeiten", twitterte Tusk daraufhin in mehreren Sprachen. Danach begannen die Ceta-Rettungsarbeiten in zwei Strängen. Bis Freitag um Mitternacht sollten die belgischen Regionalparlamente den Kompromisstext billigen. Parallel sollten die EU-Staaten zustimmen. Die Botschafter nahmen das Paket bereits am Donnerstagabend an. Allerdings müssen zusätzlich alle 28 Regierungen ebenfalls bis Freitag um Mitternacht in einem sogenannten schriftlichen Verfahren zustimmen. Die anderen 27 EU-Staaten hatten ihre Zustimmung zu Ceta schließlich gegeben, bevor sie die belgischen Zusatzerklärung kannten. Ein gewisses Risiko für neuen Ärger könne nicht ausgeschlossen werden, räumten EU-Diplomaten nach der belgischen Einigung ein. Zwar waren an den Verhandlungen im Palais Egmont Vertreter der EU-Kommission beteiligt, aber eben nicht Vertreter des Rates oder anderer EU-Staaten.

Erst nach der Zustimmung aller könnte Tusk einen Erfolg melden. Am Donnerstag waberte aber auch die Schuldfrage durch Brüssel: Wer war verantwortlich für das Durcheinander vor dem seit Monaten geplanten Gipfel? "Die Kommission war in allen Phasen aktiv beteiligt, um ein positives Ergebnis zu ermöglichen", sagte der Sprecher von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und ging damit in die Offensive. Ja, aber trägt sie nicht die Verantwortung dafür, dass die Wallonen überhaupt in die Lage kamen, das Abkommen zu blockieren? Entgegen der Rechtsauffassung in der Kommission hatte Juncker Ceta als "gemischtes Abkommen" eingestuft, das in viel stärkerem Maße der Zustimmung in den Mitgliedsstaaten bedarf - und im speziellen belgischen Falle auch der Zustimmung der Regionen.

Brüsseler Basar: In zähen Verhandlungen hat Belgiens Premier Charles Michel (rechts) Walloniens Regierungschef Paul Magnette ein Ja zu Ceta abgerungen. (Foto: AP, AFP)

Darauf angesprochen, entfuhr Junckers Pressemann ein kurzer höhnischer Lacher. Der Kommissionspräsident habe darauf doch schon nach dem EU-Gipfel vergangene Woche geantwortet, aber er könne dessen Worte gerne wiederholen: "Ich fühle mich nicht verantwortlich für Fehler, zu denen mich andere verleitet haben." Gemeint ist zum Beispiel der deutsche SPD-Vorsitzende und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der auf die Mitsprache der nationalen Parlamente gedrungen hatte.

Das Ceta-Drama offenbart allerdings auch Brüche in Brüssel selbst. Während Tusk wieder und wieder für die Einhaltung des Gipfeltermins plädierte, erklärte Juncker, der Termin sei nicht so wichtig. Tusk setzte auf den Termindruck, Juncker fürchtete wohl um die Symbolkraft eines geplatzten Gipfels. Als "Blamage" stufte denn auch Daniel Caspary (CDU), der handelspolitische Sprecher der Christdemokraten im Europäischen Parlament, die Absage des Gipfels ein. Nach der Einigung der Belgier müssten die Unterschriften nun "schnellstmöglich" geleistet werden. Eine Lehre sei: "Europäische Entscheidungen gehören auf die europäische Ebene. Entscheidungen werden nicht erst dann demokratisch, wenn alle Ebenen zustimmen." Zumindest für eine Klarstellung hat die EU-Kommission gesorgt. Bestochen worden sind die Wallonen angeblich nicht. "Die Verteilung von Strukturfonds der EU wird auf langfristiger Basis vorgenommen", sagte Junckers Sprecher. Dafür gebe es "objektive und transparente Kriterien".

© SZ vom 28.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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