Flüchtlingspolitik:Merkels Beschwörungen

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Angela Merkel mit Regierungssprecher Steffen Seibert auf dem Weg zum ZDF-Interview. (Foto: dpa)

Sie halte "absolut" an ihrem Kurs in der Flüchtlingspolitik fest, sagt die Kanzlerin. Das stimmt nicht, das ist womöglich Heuchelei. Merkel will geradlinig erscheinen, doch ihre Regierung schlägt Haken.

Kommentar von Heribert Prantl

Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Glanz und Elend der Flüchtlingspolitik seiner Nachfolgerin kürzlich wie folgt beschrieben: "Frau Merkel hatte Herz, aber eben keinen Plan."

Dass es den Plan am 4./5. September noch nicht gab, als sie die Entscheidung zur Flüchtlingsaufnahme getroffen hat, kann ihr niemand verargen; die Probleme, die sich stellten, waren zu neu und zu groß. Dass es zehn Wochen später noch immer keine konzertierte Planung und Aktion gibt, ist ein Elend. Dieses Elend kann mit den grandiosen Leistungen von Zigtausenden ehrenamtlicher Helfer nicht behoben werden.

Überzeugungen, aber ohne Konzept

Die Kanzlerin behauptet nun im ZDF-Interview, sie habe "die Lage im Griff" und halte "absolut" an ihrem Kurs fest. Das stimmt nicht; das sind Beschwörungsversuche; das ist womöglich Heuchelei. Merkel will geradlinig erscheinen, während die Politik ihrer Regierung Haken schlägt.

Merkel redet vom freundlichen Gesicht ihrer Politik, aber die neuen Gesetze, die ihre Regierung macht, sind mehr als unfreundlich. Merkel spricht von ihren Überzeugungen; aber ihre Regierung hat kein Konzept dafür. Sie redet von der Aufnahme von Flüchtlingen; ihre Regierung praktiziert deren Abwehr. Ist das Merkelsche Dialektik?

Die Zivilgesellschaft in Deutschland agiert in der Flüchtlingskrise weit couragierter als die deutsche Bundesregierung. Aber auch das beste zivilgesellschaftliche Netzwerk ersetzt nicht gute Staatsverwaltung und gescheite Leitlinien. Gute Flüchtlingspolitik braucht gute Planung und kluge Entschlossenheit.

Nicht zu viel Herz ist das Problem, sondern zu wenig Planung

Den Plan können nicht die unteren Verwaltungsbehörden aufstellen, deren Kräfte in der Flüchtlingskrise oft bewundernswert arbeiten; schon gar nicht können ehrenamtliche Helfer Staatsverwaltung spielen.

Sie sollten aber mit an dem runden Tisch sitzen, den die Kanzlerin, ihr Kanzleramtsminister und der Bundesinnenminister schon lang hätten einberufen müssen - um die Aktivitäten von Bund und Ländern, von Kommunalverwaltungen, von Wirtschaft und Industrie, von Bundesamt für Migration und Bundesagentur für Arbeit, von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen zu koordinieren. Nein, die Flüchtlingspolitik krankt gewiss nicht an zu viel Herz. Sie krankt an zu wenig Planung und Plan.

Die Unsicherheiten in der Bevölkerung sind groß; nicht zuletzt deswegen, weil die CDU/CSU ein so konfuses Bild bietet. Im Oktober 2008, am Höhepunkt der Bankenkrise, gaben CDU-Kanzlerin Merkel und SPD-Finanzminister Steinbrück eine Garantie zur Sicherheit der Spareinlagen ab. Das hatte beruhigende Kraft. Leider gibt es heute keine solche beruhigende Erklärung von Merkel, Seehofer, Schäuble und Gabriel.

Private Netzwerke, Freiwillige Feuerwehren, technische und sonstige Hilfswerke leisten so viel Flüchtlingsnothilfe, wie sie nur können. All diese Arbeit braucht aber ein stabiles staatliches Koordinatensystem; das fehlt in der Flüchtlingspolitik; an den Achsen dieser Politik wird wild herumgebogen von Politikern der CDU/CSU; in einem verbogenen Koordinatensystem verliert die Arbeit der Zivilgesellschaft Ziel und Richtung.

Die Kanzlerin redet davon, dass sie "mit aller Kraft" Flüchtlinge schützen wolle. Es wäre schön, wenn ihre Kraft über die Beteuerung dieser Kraft hinausreichen würde.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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