Flüchtlingskrise:Die Schleuser benutzen längst andere Wege nach Deutschland

Lesezeit: 4 min

"Nach vorn schauen" sollten alle, wünscht der Bundesinnenminister. Das könnte heißen, dass aus festen Kontrollen bald wieder mobile werden. (Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • Die Bundesregierung erwägt, die Grenzkontrollen an der Grenze zu Österreich zu beenden.
  • An den Kontrollpunkten gehen seit geraumer Zeit kaum mehr Schleuser ins Netz, die Routen haben sich verlagert.
  • Die österreichische Innenministerin erklärt, Wien erledige mit einer rigiden Flüchtlingspolitik die "Arbeit" für die Deutschen.

Von Andreas Glas und Cathrin Kahlweit, Passau/Wien

Die Nacht, die den Alltag an der Grenze veränderte, war eine warme Septembernacht. Überall Blaulicht, überall Polizeiautos, überall Beamte mit neongelben Warnwesten. Kaum hatte sich die Nachricht über ihre Autoradios verbreitet, waren die Menschen mittendrin in den Kontrollen, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) kurz zuvor angekündigt hatte. Sie waren mittendrin im Autobahnstau, schauten ins grelle Licht der Taschenlampen, mit denen Polizisten durch ihre Windschutzscheiben leuchteten. "Polizeiaufgebot auf Rastplatz vor Passau", twitterte in jener Nacht eine Frau direkt aus ihrem Auto heraus, und weiter: "Wie vor 20 Jahren!"

Was sich damals historisch anfühlte, ist knapp sieben Monate später zur lästigen Gewohnheit geworden, jedenfalls für die Pendler auf den Autobahnen A 3 bei Passau, A 8 bei Bad Reichenhall und A 93 bei Kiefersfelden. Bis Mitte Mai heiße es "durchhalten", titelten die Salzburger Nachrichten, dann könnten die Staus an der deutsch-österreichischen Grenze vorbei sein. Diese Nachricht stammt allerdings vom Februar; bereits damals hatte der Bundesinnenminister die Verlängerung der Kontrollen bis mindestens zum 13. Mai angekündigt - was ein Ende derselben zumindest in den Bereich des Möglichen rückte.

Am Dienstagabend nun sagte de Maizière nach einem Treffen der deutschsprachigen Innenminister in Wien im ORF: "Wenn die Zahlen so niedrig bleiben, würden wir über den 12. Mai hinaus keine Verlängerung der Grenzkontrollen durchführen". Er erklärte den Schritt mit dem massiven Rückgang der Flüchtlingszahlen.

Wichtige Straßengrenzübergänge zwischen Bayern und Österreich (Foto: SZ-Karte)

Die Grenzkontrollen waren ja im September 2015 auf einem ersten Höhepunkt der Flüchtlingskrise beschlossen worden; im März dagegen hatten die deutschen Behörden nur noch etwa 20 000 Neuankömmlinge registriert. Er wünsche sich, so de Maizière, dass jetzt "alle nach vorn" schauten, den Deal mit der Türkei umsetzten und die Entstehung von Ausweichrouten über Italien oder Bulgarien verhinderten.

Mit anderen Worten: Die Bundespolizisten, die allein in der Grenzregion Passau mit 600 Mann im Einsatz sind, bekommen wohl wieder keine Gelegenheit, ihre vielen Überstunden abzubauen. "Sollte es dazu kommen, dass die Grenzkontrollen aufhören, wird die Bundespolizei sicher nicht arbeitslos sein", sagt der Passauer Bundespolizeisprecher Frank Koller.

An den Kontrollpunkten gehen kaum mehr Schleuser ins Netz

Es ist ja ein offenes Geheimnis, dass den Beamten an den festen Kontrollpunkten kaum mehr Schleuser ins Netz gehen. Vereinzelt gibt es Pkw-Fahrer, die zwei oder drei Personen, meist Familienangehörige, im Auto über die Grenze bringen. Aber gewerbsmäßige Schleuser, die Flüchtlinge zu Dutzenden auf Ladeflächen klappriger Kleinlaster über die Grenze schmuggeln, haben längst Wege gefunden, die drei permanenten Grenzkontrollen auf den Autobahnen und die übrigen Übergänge, an denen stichprobenartig kontrolliert wird, zu umfahren. Was übrigens nicht schwer ist, es gibt genug Schleichwege, um hinter dem Rücken der Beamten die Grenzen zu passieren.

Das Personal, das die Bundespolizei bei einem Ende der stationären Grenzkontrollen einspart, dürfte daher zur Verstärkung der mobilen Schleierfahnder eingesetzt werden, die in einem 30 Kilometer breiten Gebiet entlang der Grenze Streife fahren. Denn seit es den Deal zwischen der EU und der Türkei gibt und seit die Länder auf der Westbalkanroute ihre Grenzen dichtgemacht haben, greift die Bundespolizei wieder mehr Flüchtlinge auf, die von professionellen Schleusern abseits der Kontrollpunkte abgesetzt werden.

Die Schleuser selbst kriegen die Beamten dagegen nur selten zu fassen. Die Fahrer setzen die Flüchtlinge meist schon in Österreich ab, von wo aus sie die letzten Kilometer zu Fuß nach Bayern marschieren - wo sie früher oder später von einer deutschen Polizeistreife aufgesammelt werden.

Sophienhof
:Kiel: Polizei revidiert Angaben zu Belästigung durch Migranten

Ein Mob von 20 bis 30 Personen mit Migrationshintergrund habe im Kieler Einkaufszentrum Sophienhof Mädchen belästigt und gefilmt, sagte die Polizei im Februar. Nun steht sie selbst in der Kritik.

Nur noch selten wagt sich ein Großschleuser ins deutsche Grenzgebiet - wie am vergangenen Freitag, als der Fahrer eines Kleintransporters 17 Männer, Frauen und Kinder in der Nähe der Stadt Amberg in der Oberpfalz absetzte. Solche Szenarien könnten freilich wieder häufiger werden, wenn die festen Kontrollpunkte wegfallen. Deshalb auch der Plan der Bundespolizei, mit dem dann frei werdenden Personal die Schleierfahnder zu verstärken.

Derzeit hält sich deren Arbeit in Grenzen: Im Schnitt stellt die Polizei in diesen Tagen 150 Flüchtlinge fest, die in Autos, in Zügen oder zu Fuß nach Bayern kommen. Die Bundespolizei hat darauf reagiert und inzwischen etwa ein Drittel des Personals abgezogen, das noch vor einigen Monaten im Einsatz war, als bis zu 10 000 Flüchtlinge pro Tag über die deutsch-österreichische Grenze kamen. Die übrig gebliebenen Beamten dürften dagegen nicht so schnell zum Durchschnaufen kommen.

Die Berufspendler wiederum könnten aufatmen, wenn die Grenzkontrollen wegfallen. Entsprechend erleichtert klingt der Freilassinger Bürgermeister Josef Flatscher (CSU). Neben den Pendlern beschweren sich bei ihm seit Monaten auch Unternehmer, Einzelhändler und Gastronomen, die über bis zu 30 Prozent weniger Umsatz klagen, weil wegen der Kontrollen kaum mehr Kunden aus Österreich über die Grenze kämen. "Es tut allen gut, wenn wieder Normalität einkehrt", sagt Flatscher.

Auch der Passauer Landrat Franz Meyer (CSU) wäre froh über ein Ende der Kontrollen, die "eine massive Verkehrsgefährdung" seien. Bei 73 Auffahrunfällen sind am Kontrollpunkt bei Passau in den vergangenen Monaten drei Menschen gestorben.

Wien: "Österreich macht für Deutschland die Arbeit"

In Wien rief die Ankündigung vom Ende der Kontrollen zu Deutschland keine größeren Reaktionen hervor. Dies werde keinen Einfluss auf das Vorgehen Österreichs haben, sagte Innenministerin Johanna Mikl-Leitner am Mittwoch im ORF und bezeichnete die deutschen Pläne als "verständlich, weil Österreich für Deutschland die Arbeit macht und die Grenzen dichtmacht". Für mehr Schlagzeilen sorgen in Österreich die geplanten Barrieren an der Grenze zu Italien.

Die Wiener Bundesregierung hatte bereits im März Sperrmaßnahmen am Brenner und an etwa einem Dutzend anderer Grenzübergänge zu Italien und Slowenien angekündigt, aber keinen genauen Termin genannt.

Ein Sprecher des Innenministeriums sagte am Mittwoch, man sei vorbereitet, beobachte aber infolge der Schließung der Westbalkanroute derzeit noch keine Verlagerung der Schlepperrouten über das westliche Mittelmeer, wie dies Experten vorhergesagt hatten. Für verstärkte Grenzkontrollen am Brenner gebe es deshalb bisher kein fixes Datum, heißt es im österreichischen Innenministerium.

© SZ vom 07.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: