Flüchtlinge in Europa:Warum vor allem Männer Asyl suchen

Syrische Flüchtlinge

Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan erreichen die Küste der griechischen Insel Lesbos

(Foto: AP)
  • Unter den Asylbewerbern in der EU sind deutlich mehr Männer als Frauen. Unter den Flüchtlingen weltweit gibt es diesen Unterschied nicht.
  • Familien in Not hoffen, dass ihre jungen Männer die Reise nach Europa schaffen - und ihre Angehörigen dann nachholen können oder aus der Ferne unterstützen.
  • Aus dem Bürgerkriegsland Syrien flüchten die Menschen erst in Lager in Nachbarländern und von dort aus reisen viele Männer weiter.

Von Markus C. Schulte von Drach

Von den Menschen, die weltweit innerhalb oder außerhalb ihrer Heimat auf der Flucht sind, sind etwa die Hälfte Frauen und Mädchen. Das geht aus den Daten des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) hervor.

In Europa und in Deutschland ist der Anteil der weiblichen Flüchtlinge und Asylbewerber allerdings deutlich geringer.

So waren in der EU 2014 etwa 70 Prozent der Asylsuchenden insgesamt männlich. Daten von Eurostat zeigen, dass das Verhältnis der Geschlechter bei den Kindern fast ausgeglichen war. In der Gruppe der 14- bis 34-Jährigen, die 54 Prozent der Flüchtlinge ausmachte, ist das anders: Drei von vier Bewerbern waren männlich. Ähnlich war es in den kleineren Gruppen älterer Asylbewerber. Lediglich unter den wenigen Flüchtlingen im Alter von mindestens 65 Jahren waren es mehr Frauen als Männer.

In Deutschland zeigt sich eine ähnliche Situation. Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berichtet, stammten 2014 zwei Drittel der Asylerstanträge von männlichen Flüchtlingen. Die meisten (28 Prozent aller Anträge) wurden für Kinder unter 16 Jahre gestellt, für etwas mehr Jungen als Mädchen. Bei den 16- bis 34-Jährigen hingegen war der Anteil der Männer mit 70 bis 77 Prozent deutlich größer als der von Asylbewerberinnen.

Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede bei der Herkunft der Flüchtlinge: Aus Ländern wie Syrien, Afghanistan, Somalia und Eritrea waren von zehn Flüchtlingen lediglich zwei bis drei weiblich.

Unter den Serben, Albanern, Mazedoniern und den Flüchtlingen aus Bosnien-Herzegowina und dem Irak war die Verteilung der Geschlechter ausgeglichener. Hier lag der Anteil der Männer zwischen 50 und 58 Prozent.

Wieso mehr erwachsene Männer als Frauen nach Europa kommen, hat verschiedene Gründe - und es sind eher nicht diejenigen, die immer wieder aus dem rechten Lager zu hören sind: Dass weniger Frauen in die EU kommen, interpretieren manche als Hinweis darauf, dass die Not gar nicht so groß sei - und es sich um Wirtschaftsflüchtlinge handele.

"Die Entscheidung zur Migration hängt von der individuellen Situation ab. In vielen Familien, die in Gefahr geraten, reichen die Ressourcen einfach nicht aus, um mehr als einem Mitglied die Flucht nach Europa zu finanzieren", sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl. Aus verschiedenen Gründen würden dann eher die jungen Männer als Frauen oder Ältere und Kinder auf den Weg geschickt.

So sind Männer etwa in der Regel körperlich stärker und - je nach Herkunft - häufig besser ausgebildet als Frauen. Deshalb gelten ihre Chancen als größer, eine gefährliche Reise zu überleben und am Zielort Arbeit zu finden. Häufig stellen sie aus traditionellen Vorstellungen heraus den Haupternährer - und stehen damit in der Verantwortung, für die Familie zu sorgen.

Dazu kommt, dass sich meist die Frauen um den Nachwuchs kümmern, der eine Reise noch beschwerlicher und gefährlicher machen kann.

Für Frauen kommt zu allen anderen Gefahren in manchen Gebieten zudem das Risiko hinzu, auf der Flucht verschleppt und vergewaltigt zu werden. Das gilt Mesovic zufolge etwa für die Wege der Migranten über den Sinai.

In Kampfgebieten ist die Gefahr für Männer größer, von einer Partei als mutmaßlicher Gegner getötet oder von einer anderen Partei - etwa der Regierungsarmee - zwangsrekrutiert zu werden. Auch diese Gründe können zur Flucht motivieren.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass sich - unabhängig vom konkreten Anlass der Flucht - eher Männer auf die gefährliche Reise machen, während die Familien in der Hoffnung zurückbleiben, dass sie später über eine Familienzusammenführung ohne Risiko nachreisen können - oder aus der Ferne vom Mann versorgt werden.

Erst ins Nachbarland, dann nach Europa

Auch die Frage, wieso aus einem Bürgerkriegsland wie Syrien mehr Männer als Frauen nach Europa und Deutschland kommen, lässt sich recht einfach beantworten. Dort sind Frauen natürlich genauso in Gefahr, durch die Fassbomben des Regimes oder bei den Kämpfen zwischen verschiedenen Rebellengruppen, Extremisten und Regierungssoldaten getötet zu werden wie Männer. Deshalb flieht häufig die ganze Familie zunächst über die Grenze in ein Flüchtlingslager.

Aus den oben genannten Gründen sind es dann vor allem wieder die jüngeren Männer, für die sich die Familien die besten Chancen ausrechnen, Europa zu erreichen. Erst kürzlich demonstrierten etwa in Dortmund syrische Asylbewerber vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge für eine schnellere Bearbeitung ihrer Anträge - um ihre Frauen und Kinder nachholen zu können.

Inzwischen ist die Verzweiflung vieler Menschen in Not aber so groß, dass sogar immer mehr Kinder allein auf die gefährliche Reise in den Westen geschickt werden.

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