Fluchtrouten:Neues Geschäft für Schlepper

Lesezeit: 2 min

Vorerst gerettet: Schlepper kalkulieren ein, dass die Schiffe mitten auf dem Meer in Seenot geraten. (Foto: Giovanni Isolino/AFP)
  • Geschlossene Balkanroute, besseres Wetter: Für viele Flüchtlinge wird die gefährliche "Zentrale Mittelmeerroute" über das Meer nach Italien wieder die direkteste Fluchtroute.
  • Die italienische Regierung schätzt, dass derzeit mindestens 240 000 Menschen in Libyen darauf warten, auf eines der Schlepperboote steigen zu können.
  • Flüchtlinge suchen aber auch nach anderen Wegen nach Europa. Darüber freuen sich vor allem die Menschenhändler.

Von Oliver Meiler

Destination Italien, übers Meer. Wie man die Landkarte auch dreht und wendet: Nach der Schließung der Balkanroute wird der gefährliche Weg über das Meer nach Italien für viele Menschen auf der Flucht nach Europa wieder zum direktesten - zum Ausweg. Zumal jetzt, im Frühjahr, da sich das Wetter bessert und die See beruhigt, und das selbst auf der bewegten Straße von Sizilien zwischen Libyen und Lampedusa, Sizilien, Kalabrien.

Im Jargon der Flüchtlingsorganisationen nennt sich dieser Weg "Central Mediterranean Route", weil sie quer durchs Herz des Mittelmeers führt. Das klingt nach einer Reise aus dem Prospekt, ist es aber ganz und gar nicht. Ausgangspunkt ist Libyen, das politisch dermaßen instabil ist, dass dort Banden jeder Art bislang ungehindert als Schleuser Geschäfte machen können.

Die Küste wird an vielen Orten nur sporadisch oder gar nicht kontrolliert, da bereitet das Ablegen mit Barken und Kähnen keine Probleme. Menschenschmuggler schicken die Schiffe los, überfüllt und zuweilen mit viel zu wenig Sprit. Sie gehen davon aus, dass die Migranten in Seenot geraten und dann in den internationalen Gewässern von Grenzschützern gerettet würden. Wichtig ist ihnen das nicht.

EU-Flüchtlingspakt
:Flüchtlinge kommen weiterhin auf Ägäis-Inseln an

Trotz der Aussicht, bald wieder zurückgeschickt zu werden, setzen Flüchtlinge in Booten aus der Türkei nach Griechenland über.

Die Zahl der Ankommenden aus Libyen hat sich fast verdoppelt

Die italienische Regierung schätzt, dass derzeit mindestens 240 000 Menschen in Libyen darauf warten, auf eines der Schlepperboote steigen zu können. Allein in den ersten drei Monaten dieses Jahres sind bereits 19 350 Flüchtlinge über die "Zentrale Mittelmeerroute" nach Italien gekommen. Das sind 90 Prozent mehr als im selben Zeitraum 2015. Italiens Innenministerium merkt dazu an, dass 2500 Minderjährige dabei waren, doppelt so viele wie zu Beginn des vergangenen Jahres. Es soll sich vor allem um ägyptische Teenager handeln, die zu Verwandten reisen wollen, welche schon in Europa leben. Andere suchen kleine Jobs, um mit dem Verdienst ihre Familien daheim zu unterstützen.

Der Großteil dieser Flüchtlinge kommt aus Westafrika: Nigeria, Gambia, Senegal. Nur sehr wenige Syrer wählten zuletzt diese Alternativroute. Doch das werde sich bald ändern, vermuten italienische Hilfsorganisationen. Offenbar versuchen gerade viele Iraker, Afghanen und Syrer, die in Griechenland festsitzen, nach Tunesien oder Ägypten zu kommen - die Wohlhabenden unter ihnen per Flugzeug - um von dort an die libyschen Küsten zu gelangen.

Theoretisch gäbe es auch andere Routen, etwa jene von Griechenland über den Landweg nach Albanien und dann weiter über die Adria nach Apulien. Der Weg ist kürzer und ungefährlicher.

Flüchtlinge
:Das "Reisepaket Italien" wird für 6000 Euro angeboten

Derzeit flüchten die meisten Menschen über Griechenland, doch das könnte sich bald ändern. Das italienische Innenministerium spielt verschiedene Szenarien durch.

Von Oliver Meiler

Doch in den vergangenen Wochen, meldet der italienische Innenminister, sei "kein Flüchtling" über die Straße von Otranto gekommen. Viel weiter nördlich, in den baltischen Staaten, fürchten die Regierungen, Russland könnte bald Flüchtlinge zu Tausenden durchwinken, wie es das 2015 mit 6000 Menschen getan hatte, die sich dann an den finnischen und norwegischen Grenzen präsentierten.

Estland und Lettland bauen schon mal an Grenzzäunen, Litauen verstärkt die Sicherheitskontrollen. Zunächst richten sich alle Blicke auf Italien, das seine Kapazität an Aufnahmeplätzen bereits ausgeschöpft hat. In früheren Jahren ließen die Italiener Ankömmlinge einfach weiterziehen, ohne sie zu registrieren, damit sich die Last auf ganz Europa verteile. Nun haben sie vier Hotspots eingerichtet, zwei weitere sollen dazukommen.

Doch offenbar zweifeln die Österreicher daran, dass die Nachbarn die Migranten wirklich an der Weiterreise nach Norden hindern. Aus Wien ist zu hören, dass die österreichische Regierung bereit sei, die offene Grenze zu Italien am Brenner zu schließen. Bei Protesten gegen Grenzschließungen kam es am Sonntag am Brenner zu Zusammenstößen. Laut österreichischer Polizei versuchten Demonstranten, Absperrungen zu durchbrechen. Es flogen Steine und Flasche. Die Beamten setzten Schlagstöcke und Pfefferspray ein.

© SZ vom 04.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: