Finanzmärkte:Gefahr für die türkische Wirtschaft

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Die Lira verliert an Wert, Investoren sind verunsichert. Ein wirtschaftliches Schockszenario könnte sich abzeichnen: Anleger bleiben fern, andere ziehen eventuell ihr Geld ab.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Investoren müssten sich keine Sorgen machen, schrieb der stellvertretende türkische Ministerpräsident Mehmet Simsek am Sonntag auf dem Nachrichtenportal Twitter. Die Regierung habe in Absprache mit der Zentralbank des Landes und dem Finanzministerium alle erforderlichen Maßnahmen getroffen. Und sie gehe massiv gegen Teile des Militärs sowie der Justiz vor. "Kein Grund zur Sorge".

An den Börsen, zumindest an denen, die am Sonntag geöffnet waren, war die Sicht auf den Putschversuch eine andere. Als Panzer durch Ankara und Istanbul rollten, sank die türkische Währung Lira im Vergleich zum US-Dollar auf den niedrigsten Stand seit acht Jahren. Der Handel mit Aktien und Staatsanleihen wurde ausgesetzt. An diesem Montag soll er wieder aufgenommen werden. Vermögensverwalter wie Brian Jacobsen vom Wells Fargo Funds Management erwarten, dass der Putschversuch die Anleger verunsichert. Dass die türkische Lira nachgegeben habe und der Goldpreis gestiegen sei, gleiche "einer Reaktion wie aus dem Lehrbuch", sagte Jacobsen am Sonntag.

Es war nicht die einzige Reaktion "wie aus dem Lehrbuch". Am Sonntag teilte Sekerbank TA, eine in Istanbul ansässige Bank mit, eine geplante Anleihenausgabe im Wert von 300 Millionen US-Dollar wegen der Unruhen zu verschieben. Sollten weitere Anleger von geplanten Investitionen zurücktreten, dürfte sich die finanzielle Lage der türkischen Regierung deutlich verschlechtern.

Die Türkei ist bei Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) als "Schwellenland" kategorisiert. Diese Einstufung wirkt sich auch darauf aus, wie viel Geld die türkische Regierung aufwenden muss, um ihre Staatsschuld an den Märkten zu refinanzieren. Während die Bundesregierung gerade zum ersten Mal deutsche Staatsanleihen mit negative Zinsen ausgegeben hat, also Geld bekommt für die Ausleihe, müssen Regierungen von Schwellenländern mit deutlich schlechteren Bedingungen als jene von Industrieländern zurecht kommen.

Mögliches Schockszenario: Anleger ziehen ihr Geld ab, die Touristen bleiben aus

Schon im Frühling, also lange vor dem Putschversuch, hatte der IWF die Regierung in Ankara vor steigenden Finanzierungskosten gewarnt. Die hohen Auslandsschulden und deren Refinanzierung bleibe "die größte Herausforderung für die Türkei", heißt es in dem am 25. April veröffentlichten Länderbericht. Die Auslandsverschuldung sei auf 52 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gestiegen, allein ein Viertel der jährlichen Wirtschaftsleistung sei nötig, um die Auslandsschulden zu bedienen.

Der türkischen Regierung sei es nicht gelungen, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen, sie gebe noch immer deutlich mehr Geld für Einfuhren aus als es mit Ausfuhren erlöse - trotz günstiger Bedingungen wie des niedrigen Ölpreises. Das zeige, dass die Wirtschaft nicht wettbewerbsfähiger werde. Das Fazit fällt unerfreulich aus. "Wegen des hohen Leistungsbilanzdefizits und der enormen Kosten zur Finanzierung der Auslandsschulden bleibt die Wirtschaft anfällig für äußere Schocks".

Zu einem solchen Schock könnte es nun infolge des Putschversuches kommen. Ausländische Anleger bleiben fern, andere ziehen ihr Geld ab, die Touristen bleiben aus. Dem Einbruch der Wirtschaft stehen die enormen Finanzierungskosten der Auslandsschulden gegenüber. Gut möglich, dass die Türkei erneut finanzielle Hilfe brauchen wird.

© SZ vom 18.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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