FDP:Mission der Wiederbelebung

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Lindner beschreibt die politische Mitte als unbequemen Ort: Und doch will er die FDP von dort zurück in den Bundestag führen.

Von Josef Kelnberger, Stuttgart

Seit mittlerweile drei Jahren zieht Christian Lindner wie ein Wanderprediger des Liberalismus durch das Land. Nicht immer hat er als Chef der außerparlamentarischen Oppositionspartei FDP so große Bühnen wie jene beim Dreikönigstreffen im Stuttgarter Staatstheater. Womöglich wären die Freien Demokraten schon gänzlich untergegangen, gäbe es diese Kundgebung nicht, die der Partei zu Jahresbeginn bundesweit Gehör verschafft.

Seine Dreikönigsreden hat Lindner längst zur Kunstform entwickelt, auch am Freitag sprach er wieder mehr als eine Stunde lang - holprig zu Beginn, dann zunehmend begeisternd, ohne Manuskript auf der Bühne hin und her wandernd. Erst gegen Ende hin holte er seinen Stichwortzettel aus der Innentasche seines Sakkos. Was er darauf offenbar fand: "die vernünftige Mitte".

Diese Mitte erklärte Lindner zur Heimat seiner Partei. Von dort aus will er die FDP im September zurück in den Deutschen Bundestag führen. Er beschrieb diese Mitte als den derzeit unbequemsten Ort in der deutschen Parteienlandschaft. Und in der Tat scheint das politische Klima den Liberalen nicht gerade in die Hände zu spielen. Trump-Hysterie, Terrorangst, Debatten über Sicherheitsgesetze, Zweifel an den offenen Grenzen in Europa. Wie viel Raum bleibt da für eine Partei, die die Freiheit des Einzelnen radikal in den Mittelpunkt stellt und deshalb nicht nur Steuersenkungen fordert, sondern auch die Ausweitung der Video-Überwachung öffentlicher Räume ablehnt? An die Wähler gewandt sagte Lindner in Stuttgart: "Wenn die Welt verrückt geworden ist, könnt Ihr ja wieder etwas Vernünftiges wählen."

Es gab, wie immer, donnernden bis frenetischen Applaus für die Lichtgestalt der FDP. Es war auch ein Applaus der Selbstvergewisserung. In mittlerweile neun von 16 Landtagen sind die Freien Demokraten vertreten. In Rheinland-Pfalz regieren sie seit dem Frühjahr mit SPD und Grünen, in ihrem Stammland Baden-Württemberg erreichten sie mehr als acht Prozent der Stimmen. Wolfgang Kubicki, Lindners Stellvertreter und Chef der FDP in Schleswig Holstein, berichtete am Freitag sogar von Umfragewerten zwischen neun und zwölf Prozent vor der Landtagswahl am 7. Mai. Und doch ist Lindners Mission der Wiederbelebung noch längst nicht erledigt. In den Umfragen für den Bundestag liegt die FDP zwischen fünf und sieben Prozent. Alles erscheint möglich, auch ein neuerliches Scheitern.

Erstmals überhaupt trat Kubicki bei einem Dreikönigstreffen der FDP auf. Als alter Weggefährte von Jürgen Möllemann und Miterfinder von Guido Westerwelles "Projekt 18" war er lange Zeit ein "Paria" in der FDP, wie er selber findet. Er sei nun "dankbar, dass ich im Vorprogramm von Christian Lindner auftreten darf", sagte Kubicki im Scherz. Als Stimmenfänger ist er längst wieder unersetzlich, aber alle Blicke wird weiterhin Lindner auf sich ziehen: als Spitzenkandidat zunächst bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai, danach bei der Bundestagswahl. Es klang schon wie eine Bilanz seiner bald drei Jahre an der Spitze der FDP, als er sagte: "Wir sind in unserer dunkelsten Stunde nicht nach links und nach rechts abgebogen, wir haben Charakter gezeigt."

Steuert den "Innovationsmotor" FDP: der Bundesvorsitzende Christian Lindner, hier beim Stuttgarter Dreikönigstreffen der Liberalen. (Foto: Franziska Kraufmann/dpa)

Natürlich fordert Lindner auch diesmal Steuersenkungen, verdammte den Mindestlohn und pries die FDP als "Innovationsmotor" an. Auch die Bildungsoffensive und der Breitband-Ausbau fehlten nicht im Programm. Und doch musste er angesichts des Berliner Anschlags die Sicherheitspolitik ins Zentrum seiner Rede rücken. Lindner kennt das Vorurteil: die FDP als Vertreterin eines "Nachtwächterstaates"? Er erinnerte daran, dass es Innenminister der FDP gewesen seien, die das BKA gestärkt und die Eliteeinheit GSG 9 geschaffen hätten. "Von der kühlen Entschlossenheit der Regierung Schmidt/Genscher könnte sich die jetzige Bundesregierung eine gehörige Scheibe abschneiden", sagte er, an den RAF-Terror erinnernd. Die von Innenminister Thomas de Maizière angestoßene Debatte über die Sicherheitsarchitektur kritisierte Lindner als Wahlkampfmanöver. "Damit hat Herr de Maizière dem wichtigen Anliegen einen Bärendienst erwiesen, denn wir brauchen eine seriöse Debatte über diese Fragen und keinen Aktionismus, keine Showeffekte." Er lehnte auch Pläne für eine verstärkte Videoüberwachung öffentlicher Räume ab. Damit würden unbescholtene Bürger dazu gebracht, sich in der Öffentlichkeit anders zu verhalten. All das diene nur dazu, vom Versagen der Sicherheitsbehörden im Umgang mit "Gefährdern" abzulenken. "Da hätte ich mir den Satz von Frau Merkel gewünscht: Wir schaffen das", sagte Lindner.

Die Kanzlerin ist, ausweislich seiner Reden, die Lieblingsgegnerin von Lindner. Die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge und die Euro-Rettungsaktionen nennt er weiterhin einen Rechtsbruch. Und doch hat Merkel gute Gesellschaft bekommen in Person von Simone Peter. Man müsse der Grünen-Chefin dankbar sein für ihre Kritik am Polizei-Einsatz in Köln, sagte Lindner, er meinte das ernst. Peter steht für alles, was Lindner unter der "grünen Hegemonie in der deutschen Politik versteht: "moralische Überheblichkeit, planwirtschaftliche Politik und das Streben nach absoluter Gleichheit". Christian Lindner empfahl "political coolness statt political correctness". Er erntete dafür den größten Applaus des Tages.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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