FDP:Machthungrig? Wir doch nicht

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Vor einem möglichen Jamaika-Bündnis ziert sich keine Partei so demonstrativ wie Lindners Liberale. Neu gefundene Prinzipientreue betonend, machen sie gleich zehn "Trendwenden" zur Bedingung einer Koalition.

Von Mike Szymanski, Berlin

Die FDP-Spitzenpolitiker tragen schon seit dem 17. September ein Papier mit sich herum, das den Titel "Zehn Trendwenden für Deutschland" trägt. Es ist eine Wunschliste für Koalitionsgespräche. Am interessantesten daran ist eine Art Schlusswort, formuliert nach Punkt zehn, auf sieben Zeilen: "Wir haben uns befreit von Opportunität und Ängstlichkeit und unsere Eigenständigkeit neu gefunden", steht dort, unter anderem. Es klingt wie das Ergebnis nach langer Selbstsuche, gerade so, als hätte die FDP schon ihr Glück gefunden. Ganz ohne Sondierung, ganz ohne Teil der Regierung zu sein. Als die Generalsekretärin Nicola Beer am Montag vor Journalisten sprach, verknappte sie das Schlusswort auf die weniger therapeutisch klingende Formel: "Wir müssen nicht müssen."

Keine andere Partei für ein mögliches Jamaika-Bündnis im Bund ziert sich so demonstrativ wie Lindners Liberale. Dabei hat der 38-Jährige seiner FDP mit dem Trendwenden-Papier eine passable Text-Grundlage mit auf den Weg gegeben, die zeigt, dass sie durchaus könnten, wenn sie wollen. Die Frage ist nur, wie viele einzelne Trendwenden braucht die FDP, um von einer grundsätzlichen Trendwende sprechen zu können? Die hat sie zur Bedingung gemacht, einer sehr dehnbaren. Ein Beispiel: Wenn Lindner im Gespräch mit der FAZ über den künftigen Finanzminister sagt: "Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister - alles wäre besser als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten", kann irgendjemand da wirklich behaupten, die FDP sei nicht kompromissbereit?

Die FDP verlangt bis 2021 Steuerentlastungen von jährlich 30 bis 40 Milliarden Euro

In der eigenen Partei sehen manche Spitzenpolitiker ihren Anführer ohnehin eher in Personalunion an Fraktions- und Parteispitze, alle Fäden in der Hand haltend, anstatt sich von einem solch wichtigen Ministerium und am Ende von Angela Merkel im Alltagsgeschäft absorbieren zu lassen. Wie Lindner sich zum künftigen Finanzminister eingelassen hat, ist exemplarisch. Die FDP bemüht sich vor allem, maximal flexibel zu bleiben. Die Digitalisierung im Land will sie als großes Investitionsvorhaben vorantreiben, eigenes Ministerium inklusive. Das Geld soll aus dem Verkauf der Bundesbeteiligungen an Post und Telekom kommen. Ein Vorschlag. Das Ziel ist den Liberalen wichtiger als der Weg.

In ihrem Papier stellen sie 30 bis 40 Milliarden Euro an Steuerentlastungen jährlich bis 2021 in Aussicht. Ein "Korridor", heißt es in der Parteizentrale. Ab welcher Summe die Liberalen von einer Trendwende sprechen würden, lassen sie offen. Im Papier gibt es wenige Punkte, in denen sie sich wirklich festlegen: Den Soli wollen die Liberalen 2019 streichen. Ein richtiges Einwanderungsgesetz soll her, gerne nach kanadischem Vorbild mit Punktesystem. Sie bekennen sich zu Energiewende und Umweltschutz. FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer aus Baden-Württemberg, der Wirtschaftsfragen mitverhandeln wird, sagt über Jamaika: "Die noch engere Verzahnung von Ökonomie und Ökologie könnte das verbindende Element werden." So weit so grün. Aber: "Das gelingt nur durch Technologieoffenheit, nicht durch Quoten und Verbote für bestimmte Antriebe im Auto oder Energieträger."

Die Schwierigkeiten werden auftauchen, wenn die Gespräche erst einmal wirklich in die Tiefe gehen, wenn die Arbeitsgruppen zusammenhocken. Im Übrigen will die FDP auch keine Pkw-Maut, so steht es im Wahlprogramm, aber wiederum nicht im Trendwenden-Papier, mit dem die Liberalen in die Sondierung gehen. Die CSU hat beispielsweise in ihrem "Bayernplan" die Ausweitung der sogenannten Mütterrente versprochen, die geschätzt noch einmal sechs bis sieben Milliarden Euro kosten würde. Die FDP verlangt dagegen bessere "private Absicherung", sie will weg vom "bürokratischen Umverteilungsstaat". Das klingt so lange unüberbrückbar, wie jeder Partner sich zum Ziel setzt, auch wirklich alle Vorstellungen in einer Jamaika-Koalition durchzubringen. "Wir wissen, dass wir anderen unsere Ideen nicht diktieren können", steht im Schlusswort des Trendwendenpapiers der FDP. Nur Worte? Generalsekretärin Beer betonte vor dem Beginn der Gespräche: "Keiner wird 100 Prozent von seinen Vorstellungen umsetzen."

© SZ vom 18.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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