Europawahl:Willkommen in der virtuellen Basisdemokratie

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Zu wenig Transparenz, zu wenig nah am Bürger - Internet-Portale wollen mit alten Vorurteilen gegen die EU aufräumen und den Wählern Entscheidungshilfe geben.

A. Slavik

Die Umfragen lassen nichts Gutes ahnen für die Beteiligung an den Europawahlen Anfang Juni, deshalb muss jetzt Alexander Alvaro ran. Der junge Europaabgeordnete der FDP lud kürzlich ins Parlament ein, um gemeinsam mit dem niederländischen Institut für politische Bildung IPP das Webportal "Vote Match Europe" vorzustellen. Das soll den Bürgern einen Überblick verschaffen, welche Partei ihre jeweiligen Überzeugungen am besten vertritt.

(Foto: Foto: AP)

Alvaro steht im Salon eins des Europäischen Parlamentsgebäudes in Brüssel und klickt sich auf www.votematch.eu durch 20 Fragen von der Energiepolitik bis zur Agrarförderung, von der Reisefreiheit bis zur Bankenrettung. Seine Antworten werden per Beamer auf eine Leinwand übertragen, deswegen lässt er manche Themenkomplexe lieber aus, den zu einem möglichen EU-Beitritt der Türkei zum Beispiel. "Da muss man sich ja richtig bekennen", flachst er.

Auseinandersetzung mit der Wahl

Ein paar Klicks später das Ergebnis: Vote Match empfiehlt dem Liberalen, seine Stimme den Grünen zu geben."Es geht ja bloß darum, die Menschen überhaupt zur Auseinandersetzung mit der Europawahl und ihren Themen zu ermuntern", sagt IPP-Direktorin Nel van Dijk - und Vote Match ist nicht das einzige Projekt mit dieser Zielsetzung. Im Internet entstehen derzeit fast im Stundentakt mehr oder weniger hilfreiche Angebote rund um die EU-Wahlen.

Der EU-Profiler etwa verfolgt ein ähnliches Konzept wie Vote Match. Auch hier klicken sich die Nutzer durch Fragen zu verschiedenen Themengebieten. Außerdem kann gewichtet werden: Wer beispielsweise viel Wert auf Umweltschutz legt, kann diesem Fragekomplex besondere Bedeutung zumessen. Am Ende wird grafisch dargestellt, ob der Benutzer eher links oder rechts, eher europafreundlich oder EU-kritisch ist; und welche Partei ihm im politischen Spektrum am nächsten steht.

Projekte in aller Herren Länder

Die Wissenschaftler des Florentiner European University Institute haben dafür 300 Parteien aus 30 Ländern analysiert und den Test in 24 Sprachen übersetzt. Trotzdem stößt auch dieses Programm an seine Grenzen: Wer erfährt, dass er mit den Zypriotischen Grünen oder den Portugiesischen Sozialdemokraten glücklich werden würde, ist zwar um eine Erkenntnis reicher - am Wahltag kann er trotzdem nur den deutschen Parteien seine Stimme geben.

Das deutsche Projekt "Kandidatenwatch" nimmt dagegen Abgeordnete und solche, die es werden wollen, genauer unter die Lupe. Wer an welchen Sitzungen teilgenommen hat, ist dort ebenso verzeichnet, wie das Abstimmungsverhalten jedes einzelnen Parlamentariers. Hier können Wähler auch direkt mit den Abgeordneten in Kontakt treten: Auf www.kandidatenwatch.de können an jeden der mehr als 600 deutschen Kandidaten Fragen gestellt werden. "Die Fragen sind ebenso wie die Antworten öffentlich und sie bleiben gespeichert", sagt Initiator Gregor Hackmack vom Verein "Mehr Demokratie". Kandidatenwatch diene somit auch als virtuelles Wählergedächtnis. "Alles, was ein Kandidat jetzt verspricht, kann für alle Zeiten nachgelesen werden", so Hackmack. Außerdem zeigt die Website auf einen Blick, wie viele Fragen einem Kandidaten gestellt wurden und wie viele er davon bereits beantwortet hat. "Da sieht man, wie intensiv sich jemand um seine Wähler kümmert - oder eben nicht", findet Hackmack.

Die europäische Verbraucherorganisation BEUC hingegen hat einen "Consumer Pact" ins Netz gestellt. Den sollen Abgeordnete und Kandidaten für das Europaparlament unterzeichnen und damit versprechen, sich für Verbraucherthemen wie die bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln, transparente Finanzdienstleistungen oder bessere Gesundheitsversorgung einzusetzen. Auf www.comsumerpact.eu sieht man, welche Kandidaten sich diesen Zielen verschrieben haben. Das, so hoffen die Organisatoren, könnte bei der Wahlentscheidung helfen - zumal sich auch der BEUC als Gedächtnis der Wähler versteht und bei den Abgeordneten regelmäßig die Umsetzung ihrer Vorhaben einfordern will.

Auch die EU macht mit

Aber auch die EU selbst versucht im Netz, das Interesse der Bürger zu gewinnen. Auf der Fotobörse "Flickr" sollen in den kommenden Wochen Fotos aus dem Wahlkampf veröffentlicht werden, und beim Videoportal YouTube ist künftig ein eigener EU-Tube-Kanal zu finden. Hier sollen Videos aus dem Wahlkampf eingestellt oder per Video Fragen an die Abgeordneten gestellt werden, die dann - ebenfalls per Video - beantwortet werden sollen.

Außerdem hat das Europaparlament Profile auf Netzwerkseiten wie Facebook oder MySpace eingerichtet. Hier ist dann zu erfahren, dass man - dem Parlament sei Dank - jetzt viel billiger telefonieren kann als früher. Oder dass man seinen Wohnort und seinen Arbeitsplatz in ganz Europa frei wählen kann. Wenn das kein Grund ist, zur Wahl zu gehen.

© SZ vom 4.5.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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