Europäische Armee:Abschied von einem Traum

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Federica Mogherini darf nicht EU-Außenministerin heißen, aber sie ist in Brüssel für die Außenbeziehungen zuständig. Sie arbeitet an einer neuen "globalen Strategie" für die Union. (Foto: Thierry Charlier/AFP)

Die Bundesregierung hat sich dem Realismus verschrieben: Berlin setzt in der Sicherheitspolitik wieder eindeutig auf die Nato.

Von Daniel Brössler und Stefan Kornelius

Nach der Erfahrung in Afghanistan, in Libyen und dem US-Debakel im Irak ist im Westen die Bereitschaft zu Militäreinsätzen in Krisenstaaten drastisch gesunken. Gewachsen ist hingegen die Erkenntnis, dass Sicherheitspolitik nicht funktionieren kann, wenn man alleine ist. Das Weißbuch 2016 verwendet deshalb viel Platz für das Bekenntnis zu den Bündnissen, denen Deutschland angehört.

Neu ist dabei zweierlei: Erstens ist die Konkurrenz zwischen Nato und EU verschwunden, Berlin gibt der Nato in militärischen Fragen Priorität. Und zweitens tut sich allerhand in Sachen Verzahnung und Aufgabenteilung mit den europäischen Nachbarn. Bemerkenswert ist dabei, was nicht im Weißbuch steht. Während sich im Koalitionsvertrag von 2013 noch das hehre Ziel einer europäischen Armee findet ("Wir streben einen immer engeren Verbund der europäischen Streitkräfte an, der sich zu einer politisch kontrollierten europäischen Armee weiterentwickeln kann"), so verschreibt sich die Bundesregierung jetzt dem Realismus. Die europäische Armee ist jedenfalls gestrichen, stattdessen wird durch Rangfolge und Wortwahl klar, dass militärische Sicherheit Sache der Nato ist, inklusive nuklearer Abschreckung und Raketenabwehr.

Die Regierung bietet an, dass Deutschland eine große Last schultert

Aber: Das heißt noch lange nicht, dass die EU nun zum sicherheitspolitischen Schwächling würde. Im Gegenteil: Der geradezu euphorische Text über die friedenstiftende Kraft der EU mündet lediglich in der nüchternen Feststellung, dass Europa eben noch ein Koordinierungsproblem habe: "Diese Vielfalt an Möglichkeiten ist noch zu wenig aufeinander abgestimmt (...) und nicht mit der nötigen Geschwindigkeit abrufbar." Das Weißbuch beklagt "administrative Schwerfälligkeiten", "Redundanzen" oder "Ineffizienzen".

Rettung aber naht, quasi durch die Hintertür. Die Bundesregierung hat für sich erkannt, dass nicht die Proklamation hehrer Ziele Europa hilft, sondern viele kleine Schritte, "das engmaschige und vielfältige bi- und multilaterale verteidigungs- und militärpolitische Beziehungsgeflecht". Hinter dieser Chiffre verbergen sich gemeinsame Einheiten, Zwang zur Zusammenarbeit bei Beschaffung und Instandhaltung, eine sinnvolle Aufgabenverteilung, die es kleinen Nationen ermöglicht, ihre Sicherheit nicht alleine garantieren zu müssen.

Der "Europäische Pfeiler in der Nato" wird zur Baustelle für die kommenden Jahre erklärt, und die Bundesregierung bietet an, dass Deutschland eine große Last schultert, bis hin zu einer deutlichen Aufstockung des Budgets. Im Baltikum wird die Bundeswehr jetzt die Führung einer Nato-Brigade übernehmen. "Pooling and Sharing" oder "Lead-Nation-Concept" heißen die deutschen Erfindungen, die schon seit geraumer Zeit bei Nato und EU ausprobiert werden. Alle Programme sind der Tatsache geschuldet, dass die europäischen Nato-Mitglieder ihre eigene Schwäche erkannt haben und nicht mehr automatisch mit der Präsenz der USA rechnen.

Das ist auch der Grundgedanke eines Dokuments, das seit Monaten in den Büros des Auswärtigen Dienstes der EU in Brüssel entsteht und das die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini beim EU-Gipfel Ende Juni präsentieren will. "Globale Strategie" nennt es sich unbescheiden. Es ersetzt die seit 2003 geltende Europäische Sicherheitsstrategie und soll den Weg zur Wahrung europäischer Interessen in einer kaum überschaubaren internationalen Lage weisen. "Wir halten eine einzigartige Mischung aus harten und weichen Machtmitteln in Händen", sagte Mogherini kürzlich. Zum Wohle ihrer Bürger müsse die EU sie aber auch nutzen.

Auch in Mogherinis Papier wird von mehr militärischer und sicherheitspolitischer Kooperation die Rede sein. Die EU müsse, fordert Mogherini, "sich stärken, an der Verteidigung arbeiten, an Sicherheit und Solidarität". Zu dem Strategiepapier durften EU-Staaten zwar Ideen beisteuern, zusammengeschrieben wird es aber als Geheimsache von einem Redaktionsteam unter Leitung der Mogherini-Vertrauten Nathalie Tocci. Eine zentrale Rolle in dem Konzept werden die "Abwehrkräfte" der europäischen Demokratien spielen, womit nicht Panzer und Raketen gemeint sind, sondern etwa die Fähigkeit, Propagandafeldzügen zu widerstehen oder die eigene Infrastruktur zu schützen. Was durchaus der Arbeitsteilung entspräche, wie sie im Weißbuch formuliert wird.

© SZ vom 14.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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