Europa-Parteitag der Grünen:Der einen Risiko, der anderen Chance

Rebecca Harms und Ska Keller

Nur eine kann gewinnen: die Europaabgeordneten Rebecca Harms (li.) und Ska Keller bei einer Podiumsdiskussion in Berlin

(Foto: dpa)

Bei ihrem Europa-Parteitag wollen die Grünen sich endlich wieder um ihre Themen kümmern. Doch ein Duell könnte alles überlagern. Wer wird Spitzenkandidatin? Favoritin Rebecca Harms oder Ska Keller, die Überraschungssiegerin der Online-Abstimmung?

Von Stefan Braun, Berlin, und Cerstin Gammelin, Straßburg

Sie wollen unbedingt Zuversicht ausstrahlen und haben doch die Niederlage bei der Bundestagswahl noch schwer in den Knochen. So lässt sich am besten jenes "gemischte Gefühl" beschreiben, mit dem die meisten Delegierten an diesem Wochenende auf den Europa-Parteitag der Grünen reisen. Während die neue Partei- und Fraktionsspitze in Berlin längst in die Zukunft schauen muss und sich beispielsweise bei der Energiewende positioniert, sind in den Kreis- und Ortsverbänden die Uhren noch nicht weitergegangen. "Die Enttäuschung ist überall mit Händen zu greifen", erzählt einer, der im Namen der Partei viel unterwegs ist.

Angesichts dessen gibt es manchen in der Führung, der regelrecht froh ist, dass nun Kommunal- und Europawahlen anstehen. Auf diesen Ebenen, so lautet die Hoffnung, seien die Meinungsunterschiede intern in der Regel am geringsten. Ob Umgehungsstraße oder Freihandelsabkommen mit den USA - hier sei der Kurs für die meisten unstrittig, heißt es aus der Führung. Deshalb ist die Hoffnung groß, dass das Treffen in Dresden alle eher wieder stärker zusammenbringt, im besten Fall ein bisschen Aufbruchsstimmung auslöst. Ein Mitglied der Fraktionsspitze: "Die Leute wieder mit Ideen motivieren - das muss für Dresden eigentlich unser Ziel sein."

Doch wahrscheinlich wird die Bundesdelegiertenkonferenz, wie die Grünen ihre Bundesparteitage nennen, von einem Duell überlagert, das sich viele ursprünglich gern erspart hätten. Nachdem die Online-Urwahl der grünen Spitzenkandidaten in Europa nicht die Favoritin Rebecca Harms, sondern ihre jugendliche Herausforderin Ska Keller an die Spitze gespült hat, müssen auch die deutschen Grünen nun zwischen beiden Kandidatinnen entscheiden. Für Harms ist das ein Risiko, für Keller eine Chance - und was es für die Partei bedeutet, hängt davon ab, ob das Ergebnis zu großen Verletzungen führt oder als urdemokratisches Resultat gemeinsam gefeiert wird.

In einer Bar setzt Harms sich außer Sichtweite von Bütikofer

Wie groß die Sorge vor Verletzungen ist, zeigt die Tatsache, dass die weiteren Besetzungen auf der Kandidatenliste geklärt zu sein scheinen. So heißt es jedenfalls aus der Parteiführung. Gewinnt die Realo-Vertreterin Harms, wird auf Platz zwei der frühere Attac-Sprecher Sven Giegold kandidieren, auf Platz drei Keller und auf vier der Chef der Europäischen Grünen, Reinhart Bütikofer. Gewinnt Keller, tritt Bütikofer auf zwei an, Harms auf drei und Giegold auf vier. Wenn schon die Kampfabstimmung nicht zu vermeiden war, so soll doch der große Rest möglichst gut austariert werden.

Wie groß Anspannung und Verletzungsgefahr trotzdem sind, lässt sich in diesen Tagen in der Bar der Europa-Abgeordneten in Straßburg studieren. Am Dienstagvormittag sitzt Bütikofer dort, er ist allein, er telefoniert ununterbrochen. Als Harms die Bar betritt, sucht sie sich einen Tisch außerhalb seiner Sichtweite. Harms kämpft um ihr politisches Überleben, und dass sie das machen muss, liegt auch an Bütikofer. Er war es, der die Online-Vorwahl ins Spiel gebracht hatte. Und manche behaupten, er habe das getan, weil er wusste, dass Keller, unterstützt von der Grünen Jugend, gute Chancen haben würde. Generation Internet halt. Auch bei den Grünen verschieben sich gerade Welten.

"Ich will gewinnen"

Also sucht Harms den Abstand und hört gar nicht mehr auf, von der "Kampfabstimmung" zu sprechen. Sie habe Ska angerufen, sie habe ihr gesagt, dass sie nicht aufgebe. Harms ballt bei diesen Worten die linke Hand zur Faust. Sie weiß, sie muss diplomatisch bleiben. Aber ihre Mimik spiegelt den Ärger über die Internetwahl und diese ganze verkorkste Lage wider. Sie erzählt, dass sie 2009 alleine in ihrem Wahlkreis mehr als 12.000 Stimmen bekommen habe, mehr als Keller jetzt in ganz Europa. Sie redet, und es hört sich so an, als spreche sie sich selbst Mut zu.

"Ich werde breit unterstützt quer durch alle Lager, von Alten und Jungen." Harms erzählt von ihren Netzwerken, die sich für die Internetwahl nicht interessiert hätten. Und sie bekomme heute noch Briefe, in denen Leute ihr ihre Unterstützung versicherten, aber an den technischen Schwierigkeiten beim Online-Voting gescheitert seien. "Auch deshalb möchte ich, dass über die deutsche Liste die deutschen Delegierten entscheiden." Und was wird sie tun, sollte sie in Dresden gegen Keller verlieren? Als Fraktionschefin zurückzutreten? "Ich bin nicht der Typ zu sagen: Alles oder nichts. Wenn ich auf Platz drei landen sollte, muss ich mir überlegen, was diese Botschaft heißt. Aber ich will gewinnen."

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