EU-Ratspräsident im Gespräch:Van Rompuy wirft Parteien Tatenlosigkeit vor

EU-Ratspräsident im Gespräch: EU-Ratspräsident Van Rompuy möchte für Europa kämpfen.

EU-Ratspräsident Van Rompuy möchte für Europa kämpfen.

(Foto: AFP)

Klare Worte: EU-Ratspräsident Van Rompuy kritisiert im SZ-Interview die etablierte Politik. Sie überlasse den Euroskeptikern und ihrer Rhetorik das Feld. Auch wenn die europäische Verliebtheit der ersten Jahre verflogen sei, müsse man - wie in einer Ehe - unermüdlich kämpfen.

Von Cerstin Gammelin, Brüssel

Die großen Volksparteien versagen nach Meinung von EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy im Kampf um europäische Ideen. "Was mich umtreibt, ist, dass diejenigen, die starke europäische Überzeugungen haben, diese nicht vehement verteidigen", sagte Van Rompuy im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. Das gebe euroskeptischer Rhetorik immer mehr Raum. Die Pro-Europäer müssten aufstehen und ihre Überzeugung verteidigen. Stattdessen sei zu beobachten, "dass sich traditionelle Parteien ebenfalls europakritisch äußern, einfach um die Unpässlichkeit der Bürger einzufangen". Am Ende bringe das nichts. "Die Bürger brauchen eine klare Botschaft."

Van Rompuy sagte, das Image der Europäischen Union habe sich im Laufe der Jahre gewandelt. Früher sei das geeinte Europa eine Idee gewesen, die positiv gesehen wurde, aber weit weg war. Heute hingegen spürten die Bürger Europa im Alltag und dies "nicht länger positiv". Das sei zwar normal. "Wenn Sie mit Realität konfrontiert werden und nicht mit Ideen, wird es immer schwieriger." Aus der europäischen Verliebtheit der ersten Jahre sei schließlich eine "zur Notwendigkeit gewordene Liebe" gewachsen. Aber wie in einer Ehe müsse man unermüdlich für die Beziehung kämpfen - und genau das vermisse er.

Mit Blick auf die Europawahlen in fünf Wochen zweifelte er daran, dass der Ansatz der großen Parteienfamilien, mit europaweiten Spitzenkandidaten Wahlkampf zu machen, deutlich mehr Bürger an die Urnen locken werde als früher. "Ich bin kein begeisterter Anhänger dieser Idee mit den Spitzenkandidaten", sagte Van Rompuy. Dies werde, "vorsichtig gesagt, das Verhalten der Wähler nicht groß beeinflussen". Der Wahlausgang hänge von vielen anderen Faktoren ab, etwa von nationalen Sensibilitäten, die nichts mit Europa oder Spitzenkandidaten zu tun hätten.

Die Bürger der EU sind aufgerufen, vom 22. bis 25. Mai ein neues Europäisches Parlament zu wählen. Erstmals ziehen fünf europäische Parteienfamilien jeweils mit Spitzenkandidaten in die Wahl. Sofern der Kandidat der siegreichen Parteienfamilie vom Europäischen Rat - also den 28 europäischen Präsidenten, Premierministern und Kanzlern - als geeignet angesehen wird und zudem eine Mehrheit unter den neu gewählten Volksvertretern bekommt, kann er zum Präsidenten der nächsten Europäischen Kommission gewählt werden.

Natürlich spiele das EU-Parlament eine wichtige Rolle, spätestens seit der Lissabon-Vertrag gelte, räumte Van Rompuy ein. Aber die Wahlbeteiligung sei nie sehr hoch gewesen, weil die Bürger wüssten, dass die großen Entscheidungen nicht nur im Parlament fallen, sondern auch "unter den Staats- und Regierungschefs. Dieser Unterschied zwischen dem Parlament und denen, die wirklich entscheiden, ist den Bürgern sehr klar".

Der Ratspräsident aus Belgien ist seit 1. Dezember 2009 im Amt. Der Lissabon-Vertrag begrenzt seine Dienstzeit auf fünf Jahre, weshalb nach den Europawahlen auch Van Rompuys Nachfolger bestimmt wird.

Das vollständige Interview lesen Sie in der Süddeutschen Zeitung, sowie in der SZ-App für iPad, iPhone, Android und Windows 8.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: