EU-Parlament:Partner zu Rivalen

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Christ- und Sozialdemokraten verbindet bisher eine informelle Koalition. Doch die Zusammenarbeit endet nun vorerst, denn beide Fraktionen kämpfen um den wichtigen Präsidentenposten. Es geht um die Machtbalance in Brüssel.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die informelle große Koalition aus Christdemokraten und Sozialdemokraten im Europäischen Parlament ist vorläufig am Ende. Der Vorsitzende der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten (S & D), Gianni Pittella, verkündete am Mittwoch seine Kandidatur für die Nachfolge von Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) und forderte damit die christdemokratische Europäische Volkspartei (EVP) heraus, die Anspruch auf den Posten erhebt. "Meine Kandidatur steht für Wandel", sagte Pittella. Von seiner Fraktion erhielt er einstimmige Unterstützung für seine Kandidatur. Die Wahl findet Mitte Januar statt.

Mit der Kandidatur von Pittella eskaliert ein Streit um die Machtbalance in Brüssel. Die EVP hatte sich geweigert, eine weitere Amtszeit von Martin Schulz zu akzeptieren und sich dabei auf eine Vereinbarung zwischen Christ- und Sozialdemokraten berufen, die vorsieht, dass ein EVP-Politiker zur Mitte der Legislaturperiode an die Spitze des Parlaments tritt. Schulz hatte schließlich vergangene Woche seinen Wechsel nach Berlin angekündigt und damit vor allem seine S&D, die zweitstärkste Kraft nach der EVP, in Verlegenheit gebracht. "Mit dem Weggang von Martin Schulz als Parlamentspräsident ist das politische Gleichgewicht zwischen den EU-Institutionen nicht mehr gegeben", sagte Pittella. Aus Sicht der S & D kann es nicht sein, dass neben der EU-Kommission und dem Europäischen Rat auch das Parlament von einem EVP-Politiker geführt wird. Man werde niemals ein "Monopol" der EVP an der Spitze der EU-Institutionen dulden, sagte Pittella. Sowohl Kommissionschef Jean-Claude Juncker als auch Ratspräsident Donald Tusk gehören zur EVP.

Pittella drohte indirekt damit, der EU-Kommission nun die Unterstützung zu entziehen. "Wir wollen neue wirtschaftspolitische Ansätze. Die Sparpolitik gehört ins Archiv. Wir brauchen eine neue soziale Agenda", forderte er. Zwar ist eine große Koalition nie formal besiegelt worden, bisher haben EVP und S&D die EU-Kommission aber in zentralen Politikfeldern gemeinsam gestützt. Gesteuert wurde die Zusammenarbeit in einem G 5 genannten Zirkel aus Juncker, Schulz, Pittella, EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) und Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans, einem Sozialdemokraten. Juncker hatte in den vergangenen Monaten massiv davor gewarnt, dass ein Weggang von Schulz die Stabilität an der EU-Spitze gefährde.

Pittellas Kandidatur sei ein "gefährliches Spiel", sagte der Chef der CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion, Herbert Reul (CDU). Es gehe um die Frage, "ob wir die erarbeitete Stabilität im Parlament gefährden". Der Chef der SPD-Gruppe Udo Bullmann sprach von einem "wichtigen und richtigen Schritt". Die bisherige Kooperation sei stark vom Duo Juncker-Schulz geprägt worden. "Wir wollen eine neue Form der Zusammenarbeit finden", sagte er. Diese müsse inhaltlich begründet und auch offen sein für Liberale, Grüne oder Linke.

Die Kandidatur von Pittella dürfte nun in der EVP den Druck auf Fraktionschef Weber erhöhen, sich ebenfalls um die Führung des Parlaments zu bewerben. Die EVP will bis Mitte Dezember einen Kandidaten nominieren. Auch der liberale Fraktionschef Guy Verhofstadt will für das Amt kandidieren.

© SZ vom 01.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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