EU-Beitritt der Türkei:Schelte, nett verpackt

Demonstranten in Ankara (Foto: dpa)

Trotz der massiven Gewalt während der Gezi-Park-Proteste will die Europäische Kommission die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortsetzen. Das hat die Regierung der bunter werdenden türkischen Zivilgesellschaft zu verdanken. Das Land täte gut daran, die Taue mit der EU nicht wieder zu kappen.

Ein Kommentar von Christiane Schlötzer, Istanbul

Lob von der EU-Kommission für die Türkei: Die Gezi-Bewegung sei Ausdruck eines demokratischen Reifeprozesses, die türkische Zivilgesellschaft werde bunter und lebendiger - so urteilt die Brüsseler Behörde in ihrem neuen Fortschrittsbericht. Die jungen Demonstranten, die im Sommer im Tränengasnebel den kleinen Istanbuler Gezi-Park verteidigten, werden dies gern hören.

Für die Regierenden in Ankara ist das Lob Europas dagegen eine Schelte, die nur nett verpackt ist. Denn die Kommission empfiehlt auch die Wiederaufnahme der lange blockierten Beitrittsverhandlungen. Die Botschaft an Premier Tayyip Erdoğan lautet: Dass Europa die Tür für die Türkei wieder einen Spaltbreit aufmacht, hat die konservativ- islamische Regierung vor allem den Hunderttausenden zu verdanken, die ihren Wünschen nach mehr Freiheiten lautstark Gehör verschafft haben. Die will die EU nicht enttäuschen - zu Recht.

Bevor die EU-Verhandlungen mit der Türkei 2005 begannen, hatten Erdoğan und seine Partei AKP mit raschen Reformschritten überrascht. Danach erlahmte der Veränderungswille. Erdoğan demonstrierte stattdessen Selbstbewusstsein. Ankara wollte lieber Regionalmacht sein als Mitglied in einem Club, der Souveränitätsverzicht verlangt. Der Türkei hat dies nicht gutgetan. Es wäre gut, wenn die Türkei die Taue, die sie mit der EU verbinden, nun nicht wieder kappt.

© SZ vom 16.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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