Eskalation in der Ukraine:Jetzt bitte einmischen

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Straßenszene aus Kiew: Die Anti-Regierungs-Proteste in der Ukraine gehen ungebremst weiter. (Foto: action press)

Vermitteln können die Europäer in der Ukraine nicht, weil sie selbst eine Konfliktpartei sind. Doch sie können der Opposition helfen, indem sie Forderungen stellen, Druck ausüben, Geld geben - und die Lage endlich realistisch sehen.

Ein Kommentar von Stefan Kornelius

Alle beherzten Vermittlungsversuche von Kanzlerin, Außenminister oder anderen europäischen Politikern in der Ukraine unterliegen einem Denkfehler: Die EU-Europäer können nicht vermitteln. Sie sind Partei. Sie wurden in den Beitrittsverhandlungen von Präsident Viktor Janukowitsch düpiert. Aus dessen Sicht (und auch aus der russischen Perspektive) haben sie also ein Motiv zur Revanche. Als Partei können sie Druck ausüben, fordern, Geld geben - aber eben nicht vermitteln.

Nur: Gibt es dann überhaupt jemanden, der Autorität genug besitzt, beiden Seiten ihre Grenzen aufzuzeigen? Antwort: Nein, den gibt es nicht. Russland hat dieses Ringen um die Ukraine längst zum Systemkonflikt hochstilisiert und wird umso verbissener seine Interessen in Kiew schützen, je härter externe Kräfte und besonders die EU auf der Seite der Opposition um Freiheit und Demokratie kämpfen.

Es gibt also nur einen Weg, die Eskalation zu stoppen, neue Gewaltausbrüche zu verhindern und dennoch die Chance auf einen Wandel in der Ukraine aufrechtzuerhalten: Die Opposition muss mit aller Kraft neue politische Spielräume schaffen, die sich ihr im Parlament und im Zusammenspiel mit der EU eröffnen. Dazu kann sie den wachsenden Zorn der Menschen nutzen, die sich vor autoritären Verhältnissen fürchten und vor der Kleptokratie der Elite. Sie muss Gewalt verhindern, weil Gewalt ihre hehren Ziele diskreditiert. Und sie muss sich auf eine Führungsfigur verständigen, die mehr politisches Gespür und Finesse aufbringt, als es der Barrikadenkämpfer Vitali Klitschko vermag.

Der Fall Bulatow als Test

Bei alldem braucht die Opposition Hilfe. Hier können die EU und besonders Deutschland mit der richtigen Dosis Realismus zur Seite stehen. Denn ein realistischer Blick auf die Ukraine verrät: Ja, in zehn Provinzen dominiert die Opposition, in 17 aber nicht. Ja, es geht um Demokratie und Freiheit. Aber es geht auch um die Pfründen, um Oligarchenmacht (die auch keine Lust auf Abhängigkeit von Russland hat). Und es geht um ganz persönliche Sorgen um Straffreiheit und physische Sicherheit der Herrschenden. Keine Revolution ist zweidimensional.

Nur wer den Pfad aus diesem Dschungel erkennt, der taugt zum Vermittler. Allein: Noch sieht keiner den Weg. Dennoch ist es kein Fehler, erste Schritte zu tun. Hinter der - am Ende erfolgreichen - Forderung nach Ausreise des Aktivisten Bulatow versteckte sich ein Test: Ist Janukowitsch gesprächsbereit? Hat er noch die Kontrolle über seine Mannen? Weitere Tests könnten folgen: Beide Seiten müssen physisch und rhetorisch abrüsten, um politische Optionen zu eröffnen: für eine Schiedsrichterrolle der OSZE, für eine Verfassungsänderung weg vom Präsidialsystem.

Ideen werden viele gehandelt: Lock-Angebote der internationalen Finanzinstitutionen, ein Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel mit Sanktionsdrohungen. Russland ist bis zu den Olympischen Spielen gefesselt, Janukowitsch sieht in Putin keinen Freund. Auch da ergeben sich Möglichkeiten. Man muss sich nur stärker einmischen. Jetzt.

© SZ vom 03.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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