Elefantenrunde im TV:FDP verblichen, Kanzlerin unter Verdacht

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Die Elefantenrunde im Jahr 2013 (von links): ARD-Chefredakteur Thomas Baumann, der Bundesvorsitzender Die Linke, Bernd Riexinger, SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück, CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Jürgen Trittin, Spitzenkandidat der Grünen und ZDF-Chefredakteur Peter Frey (Foto: dpa)

Für FDP-Mann Rainer Brüderle ist kein Stuhl mehr frei, dafür üben sich die Spitzen der anderen Parteien in fröhlicher Ausschließeritis und dezenten Avancen: Bei der Berliner Runde in ARD und ZDF lässt sich Peer Steinbrück nicht zu einem Schröder-Moment hinreißen, die Bundeskanzlerin aber dafür zu einer Art Versprechen.

Von Johannes Kuhn

Auf dem Sendeplatz, der normalerweise für den Tatort reserviert ist, läuft um 20:15 Uhr zunächst ein ganz besonderes Kriminalspiel: Wer hat die FDP auf dem Gewissen? Deren Spitzenmann Rainer Brüderle ist nämlich verschollen.

Nur politisch natürlich, doch das alleine ist schon bemerkenswert. Weil sie nicht in den Bundestag kommen, dürfen die Liberalen zum ersten Mal überhaupt keinen Vertreter in die Berliner Runde mehr schicken. Die Studiobauer haben vor Beginn der Übertragung Brüderles Stuhl abgebaut, so schnell geht das im politischen Geschäft.

Die Spitzenkandidaten der verbliebenen fünf Bundestagsparteien sind an diesem Abend gekommen - die AfD liegt ja zu diesem Zeitpunkt bei 4,9 Prozent. SPD-Mann Peer Steinbrück, die grüne Co-Spitze Jürgen Trittin, Linke-Vertreter Bernd Riexinger, CSU-Spitzenkandidatin Gerda Hasselfeldt und natürlich Bundeskanzlerin Angela Merkel sind dabei. Und gerade die Kanzlerin ist für ZDF-Moderator Peter Frey und ARD-Mann Thomas Baumann offenbar höchst verdächtig, für das bundespolitische Ableben der Liberalen verantwortlich zu sein.

Hat Merkel nicht eine "geradezu aggressive Kampagne" geführt, um Zweistimmen für die FDP zu verhindern, will Frey wissen? "Ich bin für vieles verantwortlich, aber nicht für alles", entgegnet die Kanzlerin. Sie bedaure das Ergebnis der FDP, "weil die liberale Partei dem Bundestag immer gut getan hat", schiebt sie einen kurzen politischen Nachruf hinterher.

Fröhliche Ausschließeritis

So einfach aber wollen die Moderatoren sie nicht von der Leine lassen: Wie war das denn mit der SPD, der habe die große Koalition 2009 ja auch massiv Stimmen gekostet? Wie könne die Kanzlerin dann den Sozialdemokraten eine Neuauflage eines schwarz-roten Bündnisses schmackhaft machen, wenn es mit der absoluten Mehrheit nicht klappt? "Die SPD wird sich das heutige Ergebnis angucken und vielleicht merken, dass es nicht allein an mir gelegen haben könnte", sinniert Merkel. War das schon die erste Anbahnung von Koalitionsgesprächen? Oder der Beweis, dass die traditionelle TV-Zusammenkunft der politischen Schwergewichte vor allem deshalb Elefantenrunde heißt, weil die Dickhäuter alle Fragen an sich abprallen lassen?

Frey und Baumann bemühen sich, die Anwesenden aus der Reserve zu locken. Was sie erreichen, ist nur eine Bestätigung der bekannten Ausschließeritis: Rot-Rot-Grün? SPD-Spitzenkandidat Steinbrück sagt nein, wenn auch nicht für die gesamte nächste Dekade. Schwarz-Grün? "Wir werden kein Nothelfer sein", stellt Grünen-Vertreter Trittin fest und beantwortet die Frage damit nur beinahe. Immerhin ist er es, der der Kanzlerin als Einziger nochmals zu ihrem Wahlsieg gratuliert.

Der Grünen-Fraktionsvorsitzende muss auch zwei Mal erklären, ob er denn jetzt nicht zurücktrete: Direkt, wegen der Pädophilie-Affäre (Antwort: "Ich bin da relativ gelassen") und indirekt, wegen des Wahlergebnisses und des womöglich anstehenden Generationenwechsel. Das Ergebnis müsse man in Ruhe analysieren, erklärt Trittin und bildet damit tatsächlich eine kleine schwarz-grüne Koalition: Auch die Kanzlerin betont in ihren Antworten stoisch, dass man erst das Endergebnis abwarten müsse, ja sie ermahnt die Moderatoren sogar dazu, doch bitte nicht von einer absoluten Mehrheit zu sprechen, wenn möglicherweise die Zahlen gerade anders aussähen.

Spätestens zum Zeitpunkt dieser Ermahnung dürfte Altkanzler Gerhard Schröder gelangweilt aufstehen. Der sitzt zwar nicht physisch am Tisch, ist aber seit 2005 in jeder Elefantenrunde im Geiste präsent. Seine selbstgerechte Explosion trotz Wahlniederlage setzte seinerzeit Maßstäbe, was den Unterhaltungs- und Kopfschüttelfaktor betrifft.

Peer Steinbrück könnte rein vom Tempratment die hinterlassene Lücke ja durchaus füllen und endlich einmal sagen, dass er sich während der Kampagne verstellen musste und was er von dem linkslastigen Programm seiner Partei wirklich hält. Dass denken sich offenbar zumindest die Moderatoren, doch entsprechende Fragen perlen an Steinbrück ab, er beantwortet sogar Nachfragen zu SPD-Chef Sigmar Gabriel in bester Manier eines Parteisoldaten - mit Floskeln.

So bleibt es an Bernd Riexinger, den Verärgerten zu spielen, doch der Polter-Faktor bleibt auch bei ihm gering. "Ich finde das nicht angenehm, dass ich ständig ausgelassen werde", beschwert er sich, als er endlich einmal reden darf. Allerdings geben seine recht generell gehaltenen Wortbeiträge keinen Anlass zur Aufmerksamkeit.

"Meine Fantasie ist bis 2017 ausgelastet"

So landet die Runde schließlich bei der Banalität der Pkw-Maut, was auf Betroffene der Euro-Krise in anderen Ländern ziemlich bizarr wirken dürfte. "Tja, das gibt's manchmal", erklärt Merkel zum möglichen Konflikt mit der CSU. "In meiner politischen Karriere sind schon öfter Züge aufeinander zugerollt." Man werde eine Lösung finden, verspricht sie dann. Da stimmt auch CSU-Frau Hasselfeldt zu, die zuvor noch betont hatte, die CSU wisse, wem sie das Ergebnis zu verdanken habe. "Den Bürgern." Von der Kanzlerin war da keine Rede. So sieht es wohl aus, das neue bayerische Selbstbewusstsein.

Was also bleibt? Ausgerechnet die Konservativen schicken zwei Frauen, die Opposition drei Männer. Zwei männliche Moderatoren verzweifeln an dem Versuch, einen Schröder-Moment herbeizufragen. Und Angela Merkel hat noch immer nicht genug: Sie will, das verspricht sie am Ende, bis zum Ende der nächsten Legislaturperiode Kanzlerin bleiben. Es gebe ja viel zu tun. "Meine Fantasie ist bis 2017 ausgelastet. An mehr kann ich gerade nicht denken."

Der Zuschauer hat das Denken womöglich zu diesem Zeitpunkt schon eingestellt. Diese Elefantenrunde wird er schnell vergessen haben. Und eine Antwort auf die Frage, wer die FDP auf dem Gewissen hat, hat er auch nicht erhalten.

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