Ehec-Welle:Spur der Sprossen

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Die Suche nach dem Ehec-Keim erinnert an einen Kriminalfall: Gespür und die Auswertung der Indizien treten an die Stelle mikrobiologischer Gewissheit. Seit der Verdacht auf Sprossen gefallen ist, mögen Tomaten- und Gurkenbauern erleichtert sein. Doch bleiben auch andere Gemüse verdächtig - möglicherweise stammen die Ehec-Keime aus mehr als einer Quelle.

Katrin Blawat

Vielleicht konnte der neue Verdächtige auch deshalb so lange entkommen, weil er als eine Art blinder Passagier unterwegs war. Wer gern und viel Salat isst, der erinnert sich leichter an Tomatenschnitzel und Gurkenscheiben darin als an dekoratives Beiwerk, das dem Grünzeug eine exotische Note geben und es optisch aufpeppen soll. Nun ist aus dem Beiwerk der Hauptverdächtige geworden: Sprossen gelten als eine wahrscheinliche Quelle für den derzeit grassierenden Ehec-Keim. Möglicherweise wurden die Sprossen von einem Betrieb im niedersächsischen Bienenbüttel bei Uelzen aus verbreitet. Der Betrieb ist inzwischen geschlossen worden.

Bislang als tadelloser Betrieb bekannt: der Gärtnerhof in Bienenbüttel. Noch gibt es keinen sicheren Beweis, dass er die Quelle für den Ehec-Keim ist. (Foto: dpa)

Am Montag gab das niedersächsische Ministerium für Landwirtschaft und Verbraucherschutz erste Ergebnisse von der Untersuchung der Proben aus dem Betrieb bekannt. 23 von 40 Proben wurden analysiert - mit negativem Ergebnis: keine Ehec-Keime gefunden. Für Ministeriumssprecher Gert Hahne ist das keine große Überraschung: "Die Chance ist relativ groß, dass wir überhaupt nichts finden." Bereits vor einer Woche sei der Sprossen-Betrieb wie alle anderen Gemüsebetriebe in Niedersachsen untersucht worden, ebenfalls mit negativem Ergebnis. Auch fünf Proben aus dem in Verdacht stehendem Betrieb, die das Hamburger Hygiene-Institut in den vergangenen Wochen untersucht hatte, waren einem Sprecher zufolge frei von Ehec-Keimen.

Gewissheit geben diese Ergebnisse allerdings nicht, schließlich können sich die Erreger auch ausschließlich in jenen Produkten befinden, die zufällig nicht untersucht wurden. Weitere Erkenntnisse könnte eine mehrere Wochen alte Packung mit Sprossen bringen, die ein Hamburger in seinem Kühlschrank vergessen hatte. "Wenn im April Ehec-Keime in der Packung waren, dann sind sie immer noch drin", sagt die Leiterin der Lebensmittelüberwachung im Bezirksamt Eimsbüttel, Marianne Pfeil-Warnke. Die Sprossen werden derzeit untersucht.

Die Suche nach der Quelle der Keime erinnert an einen Kriminalfall. Auf einen eindeutigen Beweis darf man zwar hoffen. Doch bleibt er aus - was nicht unwahrscheinlich ist -, müssen kriminalistisches Gespür und die Auswertung der Indizien an die Stelle mikrobiologischer Gewissheit treten. Und Indizien gibt es in diesem Fall zuhauf. Allen voran die Papiere, anhand derer sich der Vertrieb der Sprossen nachvollziehen lässt.

Die Dokumente zeigen eine Reihe auffälliger Zusammenhänge. So gelangten zum Beispiel Sprossen über einen Zwischenhändler zu den Gästen eines Golfhotels im Kreis Lüneburg - zwölf von ihnen erkrankten. In einem Restaurant in Lübeck, das ebenfalls Sprossen von dem Betrieb bezogen hatte, infizierten sich 17 Gäste. Auch die beiden Kantinen in Hessen, in denen sich zahlreiche Menschen mit dem Keim ansteckten, hatten Sprossen aus Bienenbüttel erhalten, meldet das hessische Verbraucherministerium. Eine Mitarbeiterin des Betriebs in Bienenbüttel erkrankte ebenfalls an Ehec - wo und wie sie sich angesteckt hat, ist aber noch unklar.

Hinzu kommt, dass Sprossen ohnehin als gefährlich eingestuft werden. Die Keimlinge wachsen in feucht-warmer Umgebung, also unter Bedingungen, in denen sich auch viele Keime bestens vermehren. Auch die Plastikverpackungen, in denen es die Sprossen meist zu kaufen gibt, bieten Bakterien ausgezeichnete Lebensbedingungen. Sogar wenn der Verbraucher die Sprossen dann noch einmal wäscht, ehe er sie roh über den Salat streut, kann das den Keimen offenbar wenig anhaben, wie eine Untersuchung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vor zwei Jahren gezeigt hat. Zumindest am Ende der Lagerzeit müsse der Verbraucher mit einer überdurchschnittlich hohen Keimbelastung von Sprossen rechnen. Im vergangenen Jahr riet die Verbraucherzentrale Bayern Kleinkindern, Schwangeren und geschwächten Menschen vom Verzehr roher Sprossen ab. 1996 infizierten sich mehrere tausend Menschen in Japan mit Ehec-Bakterien, die von Rettich-Sprossen stammten.

Unabhängig davon, welche Ergebnisse die weiteren Untersuchungen der Sprossen bringen werden, bleiben entscheidende Fragen ungeklärt. Wie kamen die Bakterien in den Betrieb? "Da haben wir noch keinen Hinweis", sagt Ministeriumssprecher Hahne. "Wir haben noch nie Klagen über diesen Betrieb gehört. Vielleicht hat er einfach Pech gehabt." Auch der Geschäftsführer des Betriebs findet Medienberichten zufolge keine Erklärung. Die Sprossen würden nicht gedüngt, und auf dem ganzen Hof werde kein tierischer Dünger verwendet.

Tomaten- und Gurkenbauern mögen nun erleichtert sein. Doch bleiben auch andere Gemüse verdächtig, denn möglicherweise stammen die Ehec-Keime aus mehr als einer Quelle. In der ersten Befragungsrunde, in der Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts (RKI) Ehec-Patienten nach ihren Essgewohnheiten gefragt hatten, seien Sprossen nicht als verdächtig aufgefallen, sagt RKI-Sprecherin Susanne Glasmacher. Die Auswertung der zweiten Runde läge noch nicht vor. Hingegen bestätigt eine Studie des Instituts, dass der Verzehr roher Tomaten und Gurken deutlich mit der Wahrscheinlichkeit zusammenhängt, am HU-Syndrom zu erkranken. Der Nierenexperte Jan Kielstein von der Medizinischen Hochschule Hannover sagt: "Ich habe mit zwei Patienten gesprochen, die sich nicht daran erinnern können, Sprossen gegessen zu haben."

Derweil berichten Ärzte des Universitätsklinikums Eppendorf in Hamburg, dass es vielen ihrer Ehec-Patienten besser gehe. Bis Montag gab es 21 Todesfälle in Verbindung mit Ehec-Infektionen und 620 Patienten mit dem HU-Syndrom, meldet das RKI. Insgesamt hätten sich bislang mehr als 1500 Menschen mit der Ehec-Variante infiziert.

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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