Dokumentation:Grundlagenpapier der CSU-Landesgruppe zur Europa-Politik

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Die CSU-Landesgruppenvorsitzende Gerda Hasselfeldt hat das hier von Süddeutsche.de dokumentierte Grundlagenpapier zusammen mit Europa-Sprecher Thomas Silberhorn geschrieben.

Zukunft Europa: handlungsfähig in der Krise, schlank im Innern, stark nach außen

Das europäische Projekt steht in seiner bislang schwersten Bewährungsprobe. Die europäische Integration hat entscheidend dazu beigetragen, in Europa Frieden und Sicherheit zu wahren und den Wohlstand seiner Bürger zu mehren. Sein beispielloser Erfolg hat das europäische Kooperationsmodell für viele Regionen in der Welt zum Vorbild gemacht. Uns Deutschen hat die europäische Integration die Rückkehr in die internationale Gemeinschaft geebnet und die Einheit unseres Landes ermöglicht. Unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit können wir erst mit dem Gemeinsamen Markt, der unsere Position im globalen Wettbewerb stärkt, voll zur Geltung bringen.

Um diese Entwicklung fortführen zu können, muss die Europäische Union in der gegenwärtigen Krise die Stabilität unserer gemeinsamen Währungsordnung sichern. Darüber hinaus gilt es, die Weichen so zu stellen, dass die EU im Innern neue Dynamik entfalten und nach außen mit einer starken Stimme auftreten kann. Handlungsfähig in der Krise, schlank im Innern und stark nach außen - dieser Dreiklang ist unser Konzept für eine erfolgreiche Zukunft des europäischen Staatenverbunds.

I. Zukunft Europa: Handlungsfähig in der Krise

Die Krise in der Eurozone manifestiert sich in den Refinanzierungsproblemen einiger Eurostaaten auf den Kapitalmärkten. Auch wenn sich die haushalts- und wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen in jedem der betroffenen Länder anders darstellen, so ist ihnen doch gemeinsam, dass über viele Jahre wachsende Leistungsbilanz- und Haushaltsdefizite aufgelaufen sind. Die Krise in der Eurozone ist daher im Kern ein Ergebnis mangelnder Wettbewerbsfähigkeit und Haushaltsdisziplin. Sie nahm ihren Anfang in der schrittweisen Nivellierung der Zinsniveaus der Eurostaaten nach Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion. Im Ergebnis hat diese Angleichung dazu geführt, dass notwendige Strukturreformen verschleppt wurden und sich Leistungsunterschiede verfestigten. Unflexible Arbeitsmärkte und übermäßige Lohnstückkosten führten zu hoher Arbeitslosigkeit; im Immobilien- und Bankensektor bildeten sich Blasen.

Die Euro-Rettungsschirme verschaffen den Empfängerländern Zeit, um Strukturreformen umzusetzen und ihre Wettbewerbsfähigkeit und Kreditfähigkeit wiederzugewinnen. Daraus folgt jedoch auch: Hilfen aus den Rettungsschirmen beseitigen nicht die Ursachen der Krise. Diese können nur in den betroffenen Ländern durch eine grundlegende Sanierung der öffentlichen Finanzen sowie Strukturreformen in Wirtschaft und Verwaltung angegangen werden. Die Gewährung von Finanzhilfen muss deshalb befristet und an die Erfüllung entsprechender Konditionen geknüpft bleiben. Unterschiedliche Zinssätze erfüllen dabei eine wichtige Signalfunktion für die Leistungsfähigkeit eines Landes.

Dauerhafte und bedingungslose Finanztransfers in der Eurozone hätten dagegen zur Folge, dass Anreize zu Reformen entfallen und sich erneut nicht wettbewerbsfähige Strukturen verfestigen. Aus diesem Grund lehnen wir auch die Vergemeinschaftung von Staatsschulden sowie insbesondere gesamtschuldnerische Haftungsmechanismen entschieden ab. Eine gemeinschaftliche Haftung, mit der Deutschland potenziell alleine für Verbindlichkeiten anderer Eurostaaten haftet, würde die Bonität unseres Landes und die Wirksamkeit der Rettungsschirme aufs Spiel setzen und damit den Bestand unserer Währung selbst gefährden. Auch das künstliche Aufblähen der Rettungsschirme mittels einer Banklizenz ist nicht der richtige Weg, um Vertrauen an den Finanzmärkten zu schaffen.

Deutschland muss in der Haushalts- und Wirtschaftspolitik mit gutem Beispiel vorangehen. Was Strukturreformen betrifft, sind wir innerhalb der Europäischen Union - etwa mit unseren Arbeitsmarkt- und Sozialreformen - bereits erheblich in Vorleistung getreten. Nun ist es notwendig, schnellstmöglich einen ausgeglichenen Bundeshaushalt vorzulegen. Nach der sukzessiven Rückführung der Neuverschuldung auf Null müssen die Altschulden abgebaut werden, um die finanzielle Handlungsfähigkeit Deutschlands auf Dauer zu sichern. Der Freistaat Bayern ist Schrittmacher auf diesem Weg, indem er 2012 zum siebten Mal in Folge keine neuen Schulden macht und erstmals beschlossen hat, Altschulden von zwei Milliarden Euro zurückzuzahlen.

Die fiskal- und wirtschaftspolitische Eigenverantwortung der Eurostaaten war die Geschäftsgrundlage für die Schaffung der Wirtschafts- und Währungsunion und ist nach wie vor am besten geeignet, um die Eurozone dauerhaft krisenfest zu machen. Die Eigenverantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Verbindlichkeiten umfasst zugleich ihre Mitverantwortung für die Funktionsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion. Diese sollte auch darin zum Ausdruck kommen, dass vor einer Inanspruchnahme der Rettungsschirme verfügbare nationale Ressourcen - wie das konsequente Eintreiben von Steuern und die Unterlegung von Anleihen mit Staatseigentum - genutzt werden, um Liquiditätsengpässe zu überbrücken.

Verantwortung für das eigene Handeln zu tragen, kann für Staaten in letzter Konsequenz bedeuten, bei Überschuldung ein Verfahren der Umschuldung einzuleiten. In einer Währungsunion ist es die gemeinsame Aufgabe ihrer Mitglieder, transparente Regeln dafür zu schaffen. Das Gerüst der Wirtschafts- und Währungsunion muss daher um Verfahren zur Restrukturierung von Staatsschulden sowie zum Ausscheiden aus der Eurozone ergänzt werden. Das Vorhandensein einer solchen Option wird die Durchsetzbarkeit der notwendigen Reformen innenpolitisch erleichtern und die Glaubwürdigkeit der vorgelagerten Schritte - einschließlich der Stärkung der haushalts- und wirtschaftspolitischen Aufsicht und des Fiskalpakts - sicherstellen. Vor allem aber ist dieser Ansatz eine Voraussetzung für den dauerhaften Bestand der Eurozone und damit ein notwendiger Beitrag zu ihrer Stabilisierung.

Die bisherigen Erfahrungen mit der Europäischen Währungsunion haben gezeigt, dass gemeinsam vereinbarte, rechtsverbindliche Regeln nicht selten auf politischen Druck hin gebrochen wurden. Insbesondere wurde der Stabilitäts- und Wachstumspakt unter der rot-grünen Bundesregierung auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs aufgeweicht. Die Mitgliedstaaten und die Organe der Europäischen Union müssen deshalb dringend zur Rechtstreue zurückkehren. Verträge sind einzuhalten. Recht muss Recht bleiben. Erst wenn das gemeinschaftliche Recht beachtet wird, kann Rechtssicherheit entstehen. Davon hängt nicht nur das Vertrauen in die Eurozone an den Finanzmärkten ab, sondern auch die Akzeptanz der europäischen Integration in der Bevölkerung.

Die Stabilitätskriterien müssen ebenso durchgesetzt werden wie der Fiskalpakt, sobald er in Kraft getreten ist. Darüber hinaus kann eine engere Koordinierung der Haushalts- und Wirtschaftspolitik zur Entwicklung einer gemeinsamen Stabilitätskultur beitragen. Neue Kompetenzen für die Europäische Union sind jedoch nur sinnvoll, wenn und soweit dies notwendig ist, um die vertraglich vereinbarte Haushaltsdisziplin durchzusetzen. So könnten erweiterte Aufsichts- und Eingriffsrechte zur Überwachung der europäischen Stabilitätsregeln auf unabhängige Einrichtungen wie den Europäischen Rechnungshof oder den Europäischen Gerichtshof übertragen werden. Demgegenüber lehnen wir es ab, die Krise in der Eurozone mit pauschalen Forderungen nach einem weit reichenden Souveränitätsverzicht der Mitgliedstaaten zu instrumentalisieren. Wir müssen uns stattdessen auf das konzentrieren, was zur Bewältigung der aktuellen Krise erforderlich ist.

Zur dauerhaften Stabilisierung des gemeinsamen Währungsgebiets ist es notwendig, den bisher engen Zusammenhang zwischen der Kreditwürdigkeit eines Staates und der seiner Banken aufzubrechen. Zu diesem Zweck ist es vordringlich, eine wirksame, grenzüberschreitend tätige Bankenaufsicht in der Eurozone zu schaffen. Die geplante Einbeziehung der Europäischen Zentralbank (EZB) muss dabei so ausgestaltet sein, dass ihr geldpolitisches Mandat und ihre Unabhängigkeit nicht beeinträchtigt werden. Insbesondere muss auch angesichts der längerfristigen Refinanzierungsgeschäfte der EZB eine wirksame Bankenaufsicht gewährleistet sein. Die Aufsicht soll grenzüberschreitend tätige, systemrelevante Banken und Finanzinstitute umfassen. Dagegen müssen die im Schwerpunkt national oder regional tätigen Kreditinstitute, die sich im Übrigen als besonders krisenfest erwiesen haben, weiterhin der nationalen Bankenaufsicht unterstehen. Das bewährte deutsche Drei-Säulen-Modell mit Privatbanken, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sowie die Existenz zahlreicher kleiner Banken darf zudem nicht durch ein Übermaß an Auflagen und eine Orientierung an großen Instituten in Frage gestellt werden.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Krisenmanagement und zur Abwicklung von Kreditinstituten enthält sinnvolle Ansätze für ein Insolvenzverfahren, um Banken im Notfall ohne Einsatz öffentlicher Mittel geordnet abzuwickeln. Die Einlagensicherung liegt dagegen in der Verantwortung der Mitgliedstaaten bei europäischen Mindeststandards. Die Besonderheit einer unbeschränkten Einlagensicherung von Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Deutschland bestätigt diesen Ansatz, der dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung trägt. Systeme zur Bankenabwicklung oder Einlagensicherung dürfen allerdings nicht auf Kosten solide wirtschaftender Institute oder Sparer aus anderen Mitgliedstaaten gehen. Grenzüberschreitende, verpflichtende Kreditvergaben nationaler Banken oder Sicherungssysteme zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen in anderen Mitgliedstaaten lehnen wir entschieden ab. Ein Bankeninsolvenzverfahren darf nicht dazu genutzt werden, bestehende Verbindlichkeiten auf Dritte abzuwälzen.

Angesichts der Rolle der EZB bei der Krisenbewältigung bedürfen die Entscheidungsverfahren im Rahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken einer grundlegenden Novellierung. Die derzeitige Konstruktion, nach der die Geberländer der Euro-Rettungsschirme stets in der Minderheit sind, ist auf Dauer geeignet, das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der EZB zu untergraben. Es bietet sich daher an, die Entscheidungen des EZB-Rats ins EZB-Direktorium zu verlagern und dort die Mitgliedstaaten mit den größten Anteilen am EZB-Kapital angemessen zu berücksichtigen. Darüber hinaus sollte die EZB größere Transparenz über ihre Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro walten lassen und Haftungsrisiken offenlegen.

II. Zukunft Europa: Schlank im Innern

Europas Stärke liegt in seiner Vielfalt, die in Freiheit und Wettbewerb ein Ringen um die beste Lösung ermöglicht. Die Verschiedenheit seiner Völker und Regionen begründet seit jeher den kulturellen Reichtum und die geistig-moralische Kraft Europas. Sie ist bis heute eine Quelle von Kreativität und Leistung. Aus diesem Grund achtet die Europäische Union ausdrücklich die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten und handelt nach dem Prinzip der Subsidiarität.

Im Laufe der europäischen Integration hat indessen ein kontinuierlicher Prozess expliziter Kompetenzübertragungen und impliziter Kompetenzerweiterungen zu einer zunehmenden Zentralisierung geführt. Allzu häufig wurde dabei der Grundsatz der Subsidiarität missachtet und von einer Schranke zur Abgrenzung der Kompetenzen in eine Grundlage zur Begründung neuer Kompetenzen umgedeutet. Auf diesem Weg hat die Europäische Union ihre Stärke der Vielfalt zusehends eingebüßt und ihre selbst gesetzten Ziele hinsichtlich Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum weit verfehlt.

Das Gebot der Stunde lautet daher nicht "Weiter so, Europa!" Vielmehr muss sich die Europäische Union auf die Ursprünge ihrer Integrationserfolge zurückbesinnen und den Wettbewerbsgedanken quer über alle Politikfelder hinweg stärken. Dazu gehört es, dass sich die EU auf wesentliche Aufgaben konzentriert, bei welchen ihr Tätigwerden einen nachweisbaren Mehrwert schafft. So muss die Klausel zur Rechtsangleichung im Binnenmarkt, deren extensive Auslegung oft der Ursprung überbordender europäischer Rechtsetzung ist, in ihrer praktischen Anwendung beschränkt werden und darf nicht als Kompetenzgrundlage für jedes integrationspolitisch noch so wünschenswert erscheinende Vorhaben missbraucht werden.

Weniger ist oft mehr, um neue wirtschaftliche Dynamik zu entfachen. Der Binnenmarkt kann namentlich durch eine Reduzierung der Regelungsdichte gestärkt werden. Dies schließt eine Entflechtung und Rückübertragung von Kompetenzen - etwa bei der konkreten Ausgestaltung des Umwelt- und Verbraucherschutzes oder in Teilen der Regionalpolitik - ein. Darüber hinaus müssen die Vorschläge der Hochrangigen Gruppe unabhängiger Experten zum Bürokratieabbau konsequent umgesetzt werden. Schließlich müssen sich Bund und Länder bei der Implementierung von EU-Vorgaben in nationales Recht auf das Notwendige beschränken.

Eine schlankere und effizientere EU erfordert auch eine Reform der Europäischen Kommission. Sie darf sich durch das Instrument delegierter Rechtsakte und durch die Übertragung von Rechtsetzungsbefugnissen auf ausgelagerte Einrichtungen nicht weiter verselbstständigen und der parlamentarischen Kontrolle entziehen. Alle Verwaltungsstellen der EU müssen der Verantwortung eines Kommissars und der Kontrolle durch das Europäische Parlament unterstellt werden. Die Verwendung von EU-Mitteln muss wirksamer kontrolliert werden, und finanzielle Unregelmäßigkeiten müssen konsequenter und schärfer sanktioniert werden, insbesondere durch die Wiedereinziehung zu Unrecht ausgezahlter Mittel. Um die Zahl der EU-Kommissare zu verringern, sollte unter Berücksichtigung der Bevölkerungsgröße ein Rotationsmodell etabliert oder die Funktion von Kommissaren ohne eigenes Portfolio geschaffen werden.

Eine Konsolidierung der Europäischen Union muss es den Bürgern zudem ermöglichen, politische Verantwortung eindeutig zuzuordnen. Das Vorschlagsmonopol der Kommission ist deshalb nicht mehr zeitgemäß und muss durch ein Ko-Initiativrecht des Europäischen Parlaments und des Rates, das an qualifizierte Mehrheiten geknüpft sein sollte, ergänzt werden. Ein Rechtsetzungsvorschlag, der innerhalb einer Legislaturperiode des Europäischen Parlaments nicht beschlossen worden ist, sollte künftig nach dem Prinzip der Diskontinuität verfallen. Das Europäische Parlament als direkt gewählte Volksvertretung muss über eine repräsentative Zusammensetzung verfügen, wobei jedem Mitgliedstaat eine bestimmte Mindestzahl von Sitzen zustehen sollte. In Deutschland streben wir bereits zur Europawahl 2014 die Einrichtung von Wahlkreisen an, damit die Bürger ihre Abgeordneten auswählen können.

III. Zukunft Europa: Stark nach außen

Aufgrund der demographischen und wirtschaftlichen Entwicklung nimmt das Gewicht Europas in der Welt ab, während aufstrebende Staaten wachsenden Einfluss auf die Gestaltung der Weltordnung gewinnen. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union müssen deshalb umso geschlossener ihr Gewicht gemeinsam zur Geltung bringen und für unsere freiheitlich-demokratische Gesellschaftsordnung eintreten. Die Gestaltungsmacht Europas in den internationalen Beziehungen beruht zu einem guten Teil auf unserer Wirtschaftskraft. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leisten sowohl ein starker Euro als elementarer Bestandteil des Weltwährungssystems als auch die Wettbewerbsfähigkeit der Eurostaaten im weltweiten Maßstab. Die wirtschaftspolitische Koordinierung in der Eurozone muss sich daher an den Besten orientieren und darf nicht dazu führen, dass auf dem Weltmarkt erfolgreiche Länder für ihre Exportstärke bestraft werden.

Die internationale Wirtschafts- und Finanzkrise hat deutlich gezeigt, dass die Staatenwelt die Finanzmärkte stärker regulieren muss, damit diese ihre dienende Funktion für die Volkswirtschaften wieder wahrnehmen können. Die Europäische Union kann hier eine weltweite Vorreiterrolle bei der Einführung einer Finanzmarktsteuer einnehmen. Ferner müssen eine wirksame Aufsicht über den Hochfrequenzhandel sowie strengere Eigenkapitalregeln für Banken auf der Grundlage von Basel III, wobei die Besonderheiten kleiner und mittelständischer Banken zu berücksichtigen sind, geschaffen werden. Im Interesse der Finanzstabilität ist es darüber hinaus notwendig, die "too big to fail"-Problematik anzugehen, also Banken nicht so groß werden zu lassen, dass sie bei Solvenzproblemen einzelne Staaten oder ganze Wirtschaftsräume mit in den Abgrund reißen können. Um die Entstehung systemischer Risiken zu vermeiden, ist außerdem sicherzustellen, dass sogenannte Schattenbanken sich nicht länger den Regulierungsvorschriften entziehen können und einer stärkeren Überwachung unterzogen werden. Zur Steigerung der Ratingqualität müssen der Wettbewerb auf dem Markt für Ratingagenturen gestärkt und kleineren Wettbewerbern bessere Zugangsbedingungen geboten werden.

In der Außen- und Sicherheitspolitik muss die Europäische Union öfter als bisher mit einer Stimme sprechen, um sich auf der internationalen Bühne Gehör zu verschaffen. Die Europäer bleiben verlässliche Partner in der NATO, müssen aber zugleich bereit sein, außen- und sicherheitspolitisch auf eigenen Beinen zu stehen und die notwendigen Ressourcen dafür bereitzustellen. Wir wollen die EU dazu befähigen, an der europäischen Peripherie bei der Konfliktprävention wie bei der Krisenreaktion eigenständig handlungsfähig zu sein. Die Aussicht auf einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen oder eine gemeinsame Repräsentanz der EU-Mitgliedstaaten bei Internationalen Organisationen könnten Katalysatoren für eine tatsächlich gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sein. Um Synergieeffekte zwischen dem Europäischen Auswärtigen Dienst und den nationalen auswärtigen Diensten nutzbar zu machen, sollte eine Bündelung der konsularischen Dienstleistungen der EU-Mitgliedstaaten in Drittstaaten erwogen werden. Zur Standortbestimmung in der Außen- und Sicherheitspolitik sollte die Europäische Union ihre Sicherheitsstrategie neu formulieren.

Die bestehende transatlantische Wirtschaftspartnerschaft sollte zu einer Freihandelszone zwischen der EU und den USA als weltweit größte Handelsblöcke ausgebaut werden. Dies wäre nicht nur eine Antwort auf den Stillstand der Doha-Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation, sondern auch Ausdruck der Stärke und Dynamik der transatlantischen Partnerschaft, durch die sich erhebliche wirtschaftliche Potenziale freisetzen ließen.

Ein starker Auftritt nach außen erfordert gefestigte Strukturen im Innern. Die Aufnahmefähigkeit der EU muss daher - unter Einhaltung gemachter Zusagen - ein zentrales Kriterium bei der Entscheidung über die Aufnahme neuer EU-Mitglieder werden. Gefragt ist eine Erweiterungs- und Nachbarschaftsstrategie mit Augenmaß. Dafür müssen neue Formen und Instrumente der Anbindung an die EU entwickelt werden, die beitrittswilligen Staaten eine Alternative zwischen der Vollmitgliedschaft und der Nachbarschaftspolitik bieten. Letztere sollte nicht mehr automatisch mit einer Beitrittsperspektive verbunden werden, sondern Partnerstaaten verschiedene Kooperationsformen unterhalb einer Vollmitgliedschaft anbieten. Dies könnte ein Modell für die Türkei oder weitere Mittelmeeranrainer sein, aber auch für die Ukraine oder die Staaten des Südkaukasus.

7. September 2012

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