Diplomatie:Kaltgestellter Botschafter

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Der höchste Vertreter Deutschlands in der Türkei bekommt in Ankara bei staatlichen Stellen keine Termine mehr. In einer Zeit, in der die beiden Länder eigentlich mehr kooperieren müssten.

Von Mike Szymanski

Je mehr Deutschland und die Türkei aufeinander angewiesen zu sein scheinen, desto mehr entfernen sie sich. Flüchtlingskrise, Anti-Terror-Kampf, Schutz der Demokratie - gerade nach dem Putschversuch des türkischen Militärs müssten Berlin und Ankara eigentlich enger zusammenrücken. Das Gegenteil ist der Fall.

Wie die Süddeutsche Zeitung erfuhr, hat der deutsche Botschafter in der Türkei, Martin Erdmann, seit fast zwei Monaten keinen Zugang zu türkischen Regierungsstellen. Er werde "systematisch" nicht mehr vorgelassen, hieß es in Ankara. Das heißt: Erdmann ist kaltgestellt. Er bekomme keine Termine mehr. Gelegentlich werde sein Stellvertreter vorgelassen, aber jede Terminanfrage müsse das Außenministerium billigen.

Begonnen hatten die Probleme offenbar mit der Armenien-Resolution des Bundestags, die die Verbrechen an Armeniern 1915/1916 im Osmanischen Reich Völkermord nennt. Seither herrscht Zwangsstille. Die Türkei erlaubt auch deutschen Parlamentariern nicht, deutsche Soldaten auf der Luftwaffenbasis Incirlik zu besuchen. Verteidigungsministerin von der Leyen und Kanzlerin Merkel haben sich in Ankara und bei Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan dafür eingesetzt. Ohne Erfolg.

Für den Herbst hat sich die nächste Parlamentariergruppe in Incirlik angekündigt. Sollte sie wieder keinen Zugang bekommen, könnte Deutschland gezwungen sein, seine Soldaten aus der Türkei abzuziehen. Der Bundestag müsste im Herbst das Einsatzmandat verlängern. Von Incirlik aus kämpft Deutschland in der internationalen Allianz gegen die Terroristen des IS.

Der Putschversuch hat den Graben zwischen Deutschland und der Türkei tiefer werden lassen. Deutsche Medien und Politiker konzentrieren sich auf das harte Vorgehen der Regierung gegen Putschisten und mutmaßliche Unterstützer. Massenverhaftungen und -entlassungen, Fotos mutmaßlich gefolterter Militärs hatten eine Empörungswelle ausgelöst. In der Türkei klagt man, der Westen schenke dem Putsch selbst kaum Beachtung. Schließlich habe die Bevölkerung den Coup verhindert, fast 300 Menschen starben.

Für Mustafa Yeneroğlu von der alleinregierenden AKP kam in der deutschen Berichterstattung zu kurz, dass Militär die Große Nationalversammlung angriff und bombardierte. "Die antitürkische Stimmung hat in Teilen Europas einen traurigen Höhepunkt erreicht, wie ich sie nie für möglich gehalten hätte." Teile der Opposition fordern bereits ein Ende der EU-Beitritts-Verhandlungen

© SZ vom 29.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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