Digitaler Wandel:Markt und Macht

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Tech-Konzerne wie Amazon nutzen ihre Monopolstellung, um andere Branchen zu erobern. Das ist eine Gefahr für Wirtschaft und Gesellschaft. Staat und Bürger müssen endlich reagieren.

Von Claus Hulverscheidt

Für Kunden der US-Biomarktkette Whole Foods hat der September gut begonnen: Viele Produkte sind plötzlich um ein Drittel billiger, treue Einkäufer können sich auf attraktive Bonusprogramme freuen, und statt an der Kasse zu stehen, wird man wohl bald per Handy bezahlen können. Offenbar hat es nur Vorteile, wenn der Lieblingssupermarkt vom Online-Riesen Amazon übernommen wird.

Tatsächlich dominieren die fünf größten US-Konzerne Apple, Google, Microsoft, Amazon und Facebook längst nicht mehr nur die Tech-Industrie des Landes, sie dringen vielmehr immer weiter auch in traditionelle Branchen vor. Amazon betreibt Supermärkte. Google baut medizinische Geräte. Apple plant einen fahrerlosen Fahrdienst. Facebook brütet über eigenen Fernsehshows. Überall ist der digitale Wandel in vollem Gange, selbst in vermeintlich ur-analogen Sektoren wie dem Handwerk oder der Landwirtschaft.

Die Monopole von Konzernen wie Amazon wirken verhängnisvoll

Viele fürchten die Veränderung, doch der Umbruch ist nicht per se schlecht. Im Gegenteil: Die Geschichte der Menschheit ist eine Geschichte ständig neuer, immer besserer Technologien, des Auf- und Abstiegs von Konzernen, des Triumphs produktiver über unproduktive Firmen. Von dieser Entwicklung haben unter dem Strich alle profitiert. Deshalb wäre jeder Versuch, den Siegeszug von Google & Co. durch Parteitagsbeschlüsse oder Demonstrationen aufzuhalten, weder erfolgversprechend noch sinnvoll. Nicht einmal das Argument, Technologie vernichte Arbeitsplätze, ist stichhaltig: Die Gesamtzahl der Jobs ist heute höher denn je.

Das eigentliche Problem ist, dass die etablierten Märkte diesmal nicht von Pionieren wie Carl Benz oder Thomas Edison aufgerollt werden, sondern von Jeff Bezos und Mark Zuckerberg - von Managern also, die über Konzerne mit prall gefüllten Kriegskassen gebieten und sich nun anschicken, ihre Monopolerträge aus einem Teil des Tech-Marktes zur Unterwerfung gänzlich anderer Branchen einzusetzen. Damit entstehen wettbewerbsrechtliche Schieflagen, die nicht akzeptabel sind.

Was aber kann die Politik tun? Soll sie Amazon den Kauf von Bio-Märkten oder Apple die Gedankenspiele über Mobilitätslösungen von morgen verbieten? Das wäre ebenso unzulässig wie unvernünftig, denn es kann ja nicht darum gehen, neue Wettbewerber oder gar Ideen vom Markt fernzuhalten. Vielmehr müssen die Regierungen das eigentliche Problem anpacken und das geltende Wettbewerbsrecht endlich auch in der Tech-Industrie konsequent anwenden. Wären Apple, Google und Facebook auf ihren angestammten Märkten dem gleichen Konkurrenzdruck ausgesetzt, wie er in den Branchen herrscht, die sie zu erobern gedenken, entstünde das Problem fehlender finanzieller Waffengleichheit erst gar nicht.

Amazon kontrolliert 65 Prozent des Online-Buchhandels, Google 90 Prozent des Suchmaschinenmarkts, Facebook 75 Prozent der mobilen Kommunikationsdienste. Letztere kassieren zudem 90 Prozent aller Digitalwerbeerlöse und sind die zentralen Verbreiter demokratievergiftender Fake News. Die wirtschaftlichen, aber auch die politischen Folgen dieser Markt- und Machtkonzentration sind immens.

Libertärere Politiker und Manager in den USA argumentieren gerne, die Akkumulation unternehmerischer Macht in den Händen einiger weniger sei Ausdruck wirtschaftlicher Freiheit. Das Gegenteil ist richtig: Sie ist ein Kollateralschaden derselben. Monopole machen ein Wirtschaftssystem ineffizient, sie behindern Innovationen und die Schaffung neuer Jobs, und sie erhöhen die soziale Ungleichheit. Im konkreten Fall höhlen sie zudem den Anspruch auf Privatsphäre aus.

Das Recht auf Wachstum endet dort, wo aus Größe Dominanz und aus Preisflexibilität Preissetzungsmacht wird. Hier muss der Staat regulierend eingreifen, notfalls unter Zuhilfenahme von gröberem Werkzeug. Dass etwa die Amerikaner das können, haben sie im vergangenen Jahrhundert mit der Zerschlagung des Öl-Riesen Standard Oil und des Telefon-Giganten AT & T bewiesen. Doch auch der Bürger ist gefordert: Solange viele Menschen nach dem Motto einkaufen: "Ich lasse mich im Laden nebenan beraten und bestelle dann günstig bei Amazon", darf sich niemand beschweren, wenn die datenhungrigen Internetriesen immer weitere Teile des öffentlichen Lebens dominieren und Innenstädte zu austauschbaren Abziehbildern großer Burger-, Sandwich- und Kaffeehausketten werden.

Die Digitalisierung der Wirtschaft und des Lebens ist aus sich heraus weder gut noch schlecht. Sie birgt Chancen und Risiken und muss auf Basis der unverrückbaren Grundrechte gestaltet werden. Souveräne Bürger und ihre Staaten sollten diese Aufgabe nicht allein einer kleinen Clique von Jungmilliardären überlassen.

© SZ vom 06.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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