Deutschland:Zur Freude der Xis und Erdoğans

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Die Deutschen unterschätzen gerne, wie sehr ihre inneren Probleme auf die Nachbarn und die Welt abstrahlen. In der Krise gilt nun: Deutschland verliert den Nimbus der modernen, westlichen Vorzeigedemokratie. Überhaupt ist das Koalitions-Spektakel ein Fest für Autokraten.

Von Stefan Kornelius

Made in Germany" ist in aller Welt ein Qualitätsversprechen. Es garantiert Verlässlichkeit, Qualität, Niveau, Präzision. Die Formel löst eine ganze Kette von Assoziationen aus, die alle auf der simplen Erfahrung beruhen, dass hier kein falscher Hase verkauft wird. Dieses Versprechen galt auch für die Politik. Deutschland hat seit der Euro-Krise und besonders seit dem Populismus-Doppelschock von 2016 (Brexit und Donald Trump) einen sehr ordentlichen Ruf im Staatengeschäft erworben. Das Land steht für Stabilität und Ausgleich.

Kombiniert mit der wirtschaftlichen Stärke entstand da ein Machtfaktor im Herzen Europas, der zwar auch immer häufiger als Reibungsfläche herhalten musste, aber seine Dominanz ausglich durch Merkmale einer sanften Machtausübung, wie sie selten werden in der Welt: Kompromissfähigkeit, Selbstkritik und vor allem die Fähigkeit zur historischen Reflexion. Diese Zivilität im demokratischen Umgang, diese innenpolitische Verlässlichkeit haben Deutschland stark gemacht.

Umgekehrt heißt das: Instabilität und Niedergang sind im Kalkül der Nachbarn nicht vorgesehen. Jetzt, da die westliche Welt unter enormen Führungsproblemen leidet, da Spanien, Italien und Großbritannien mit ihren Schwächen im Inneren kämpfen und die Mitteleuropäer ihre vermeintliche Stärke nur durch bissige Abgrenzung nach außen demonstrieren können - in diesem Moment wirkt die Unsicherheit in Deutschland wie ein Schock. Selbst Frankreichs neuer Präsident weiß um den Zusammenhang zwischen seinen innenpolitischen Reformversprechen und der Europapolitik, die er nur gemeinsam mit Deutschland durchsetzen kann.

Ein schwaches Deutschland schadet auch seinen Nachbarn

Kurzum: Ohne eine Regierung in Deutschland fehlt Europa der Halt. Die Krise in Berlin bedeutet eine Krise für den Kontinent. Nimmt man die Unberechenbarkeit von Trump-Amerika hinzu, gerät sie gar zur Krise des Westens.

Einige Koalitions-Verhandler, wie etwa Horst Seehofer, haben immer wieder auf den Zusammenhang zwischen einer stabilen Regierung und einem stabilen Europa hingewiesen. Aber wenn es um die Macht im Inneren geht, ist für die deutschen Parteien die Außenpolitik offenbar besonders weit weg. Das ist seltsam, weil die innere Stabilität, das Wachstum und die ordnende Wirkung sehr eng miteinander verbunden sind. Aber genauso, wie die Abwendung der USA von Europa zuerst im Baltikum und zuletzt in Wyoming zu spüren sein wird, so ist die deutsche Lähmung zunächst weniger ein Problem der FDP-Ortsverbände, sondern ein Drama etwa für reformeifrige Franzosen oder vernunftorientierte Brexit-Verhandler.

Die Briten etwa brauchen bis Mitte Dezember Klarheit über Form und Preis des Ausstiegs. Deutschland kann dabei nicht helfen. Wer einen kleinen Schwächeanfall diagnostiziert, sollte die Enttäuschung eines "Made in Germany"-Kunden über ein kaputtes Werkstück nicht unterschätzen. Die Gründe für das Fiasko werden in Europa nur schwer zu vermitteln sein. Deutschland hat aus der Perspektive seiner Nachbarn ein Luxusproblem: Stabile Parteien aus der Mitte mit mehr oder weniger vernünftigen Führungspersönlichkeiten und einigen Milliarden in der Portokasse sollen eine Regierung bilden. Wie kann das den Staat lähmen? Das riecht nach der Fäulnis jener Politik-, ja: Demokratieverdrossenheit, die schon so viele Gesellschaften des Westens befallen hat. Für alle Xis und Erdoğans dieser Welt ist das indes ein Zeichen der Schwäche dieses westlichen Systems, ein Beleg für die Überlegenheit ihres autoritären Stils. Der Kompromiss der Demokraten, vielleicht der Markenkern von "Made in Germany", funktioniert nicht mehr. Das Vorbild nimmt sich selbst den Glanz.

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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