Deutschland:Wohlstand in Gefahr

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Den Deutschen geht es gut. Noch. Doch die Bereitschaft von US-Präsident Donald Trump, Regeln zu brechen und mit "Deals" den Welthandel zu verändern, könnte fatale Auswirkungen für die Bundesrepublik haben.

Von Cerstin Gammelin

Der Multilateralismus sei unter Druck geraten, hat Angela Merkel gerade in Paris gesagt. Und dass sich Deutschland gegen diesen Trend stemmen werde. Das klang gefährlich, aber irgendwie auch wie eine Phrase, abstrakt und weit weg. Bei den Bürgern mögen die Worte der Kanzlerin ein ähnliches Gefühl ausgelöst haben wie der Sonntags-"Tatort": Man ist dabei, wenn der Mörder gejagt wird, aber auch in Sicherheit. Und am Ende wird alles gut.

Anders als beim "Tatort" ist es in der von Merkel beschriebenen Realität aber nicht ausgemacht, wer das Spiel für sich entscheiden wird. Hinter der Kanzlerin kargen Worten steht ein ernstes Problem. Die verbindlichen Regeln, welche die Staaten dieser Welt einst miteinander vereinbart, nach denen sie jahrzehntelang Handel betrieben und Geschäfte gemacht haben, sind ins Bröckeln geraten. Waren es früher lediglich Schwellenländer wie China, die sich weigerten, Vorschriften einzuhalten, ist es nun die US-Regierung unter Präsident Trump, die bewusst die globale Ordnung ignoriert - und zu zerstören bereit ist, um Vorteile für sich einzustreichen. Es hat ein Wettlauf begonnen um die grundsätzliche Frage, wer im internationalen Handel künftig die Regeln vorgibt.

Noch laufen die Geschäfte gut, noch steigen die Einnahmen. Damit kann es bald vorbei sein

Merkel hat diese Frage bei ihrem vierten Antrittsbesuch in Paris vorige Woche ungewöhnlich enthusiastisch, ja kämpferisch beantwortet. Sie will die Weltgemeinschaft wiederbeleben und sich dem aus den USA herüberschwappenden Trend entgegenstellen, unter vier Augen "Deals" auszuhandeln, wie das Trump gerne tut. Dieser Kampfgeist ist, im Merkel-Sprech, tatsächlich "alternativlos". Deutschlands Wohlstand hängt entscheidend davon ab, dass die deutsche Wirtschaft ihre Waren auf Grundlage verlässlicher Verträge in alle Welt verkaufen kann. Noch laufen die Geschäfte gut, noch nähert sich die Bundesrepublik der Vollbeschäftigung, noch steigen die Steuereinnahmen, noch sind die Sozialkassen gefüllt. Aber es ist klar, dass es für die neue Regierung darauf ankommt, einiges zu tun, damit es so bleibt.

Die Herausforderung, vor der Merkels dritte große Koalition steht, ist mit derjenigen der Finanzkrise 2008 vergleichbar. Damals musste die erste große Koalition unter Merkel sich mitbemühen, dass der Crash international vernetzter Banken nicht die gesamte Wirtschaft in den Abgrund riss. Banken drohten pleitezugehen, Firmen bekamen keine Kredite mehr, mussten Geschäfte absagen, Bürger verloren Jobs, konnten Darlehen nicht mehr zahlen.

Zehn Jahre später muss Merkel einen ähnlichen Teufelskreis verhindern - den die US-Regierung mit ihren angekündigten Strafzöllen auslösen könnte. Diese würden Importe in die USA teurer machen. Waren, die in den USA dann nicht mehr absetzbar wären, würden nach Europa drängen. Bliebe es bei einzelnen Zöllen, wäre das kein Grund für Alarmismus. Merkels kämpferisches Auftreten lässt aber darauf schließen, dass es um mehr geht: darum, zu verhindern, dass die internationalen Regeln komplett verschwinden - und mit ihnen der Wohlstand in Deutschland.

Wie das gelingen kann? Für die Bundesregierung läuft es auf drei konkrete Aufgaben hinaus. Sie muss erstens verhindern, dass europäische Vergeltungsmaßnahmen einen Kreislauf auslösen, der am Ende vor allem den Exportweltmeister Deutschland trifft. Sie muss zweitens auf verbindliche Handelsverträge pochen, auf deren Basis Waren produziert und weltweit verkauft werden. Sie muss drittens dafür sorgen, dass es (neue) Regeln gibt, wer, wo und wie für diese Waren Steuern bezahlt. Dazu gehört, zu klären, wie die Internet-Geschäfte von Amazon & Co. künftig besteuert werden.

Die in Brüssel diskutierte Idee, Internetkonzerne nach dem Umsatz zu besteuern, den sie in den einzelnen Ländern machen, kann dabei für Deutschland gefährliche Nebenwirkungen entfalten. Bislang gilt, dass Steuern dort gezahlt werden, wo ein Unternehmen sitzt oder seine Betriebstätte hat. Praktisch führt das dazu, dass etwa in Deutschland produzierte, aber jenseits der Grenzen verkaufte Autos so bilanziert werden, dass die Firma in Deutschland steuerpflichtig ist. Würde man - wie für Internetgeschäfte vorgesehen - dort besteuern, wo verkauft wird, entgingen dem Fiskus des Exportgiganten Bundesrepublik riesige Einnahmen.

So, wie die neue Bundesregierung auftritt, darf man annehmen, dass sie sich darüber im Klaren ist, was auf dem Spiel steht. Jetzt muss sie danach handeln.

© SZ vom 19.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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