AKW auf dem Prüfstand:Eine Frage der Auslegung

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Ist eine Katastrophe wie in Fukushima auch hierzulande möglich? Sechs Wochen lang haben die obersten Nuklearexperten der Republik dies untersucht. Erdbeben, Hochwasser, Terrorangriffe: Der Prüfbericht zur Sicherheit deutscher Kernkraftwerke ist in vielen Punkten vage.

Michael Bauchmüller

Die Katastrophe kommt unter Reaktorexperten ganz harmlos daher. Sie kleidet sich als "Eva", was die Abkürzung für eine "Einwirkung von außen" ist. Oder sie zeigt sich als "cliff edge". Klingt wie ein Begriff unter Kletterern, ist aber im Reaktor der Moment, von dem an ein Störfall nicht mehr zu beherrschen ist - die Vorstufe zum GAU.

Kernkraftwerk Isar nahe Ohu bei Essenbach in Niederbayern: Wie robust Deutschlands Reaktoren sind, hängt vom Problemfall ab. (Foto: dapd)

Sechs Wochen lang haben die obersten Nuklearexperten der Republik, die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), den deutschen AKW-Park danach untersucht, wann Eva zu einem cliff edge führen könnte, ob also ein katastrophaler Ablauf wie im Unglücksmeiler Fukushima auch hierzulande möglich ist. Einheitlich ist das Bild nicht: Wie robust die Reaktoren sind, hängt vom Problemfall ab. Ein Überblick.

Erdbeben: Nach Auffassung der RSK haben die 17 deutschen AKW genügend Reserven. Auch Erdbeben, die intensiver sind als bislang angenommen, könnten sie noch verkraften. Für die Beurteilung deutlich stärkerer Erdbeben allerdings fehlten den Experten die nötigen Nachweise. Ein Tsunami, wie er in Japan die Beherrschung des Störfalls letztlich unmöglich machte, sei ohnehin "für Deutschland praktisch ausgeschlossen".

Hochwasser: Zwar sehen die Gutachter auch hier überwiegend genügend Reserven. Allerdings sind verschiedene Kraftwerke bei Hochwasser nicht mehr auf dem Landweg zu erreichen. Auch liegen Anlagen teilweise nur knapp über dem bisher angenommenen "10.000-jährlichen" Hochwasser. So liegen etwa beim Kernkraftwerk Unterweser die sicherheitstechnisch relevanten Gebäude bei einer Höhe von vier Metern über Normalnull. Wenn aber der Deich bricht, könnte das Wasser auf 3,95 Meter steigen - im bisher schlimmsten angenommenen Fall.

Station blackout: In diesem Fall versagt die Stromversorgung von außen, wie das auch in Fukushima der Fall war. Die Anlage muss sich dann dennoch mit Strom versorgen lassen, auch wenn der Reaktor selbst nicht mehr in Betrieb ist. Zumindest bei fünf der älteren Kernkraftwerke ist derzeit noch unsicher, ob sie den von der RSK überprüften Kriterien genügen, in den übrigen ist dies der Fall. Zum Teil reichten die Kraftstoff- und Ölvorräte aus, um Notstromdiesel auch über mehrere Wochen zu betreiben.

Kühlung: Vor allem bei der Kühlung der Brennelemente im Lagerbecken fehlten der Kommission teilweise die nötigen Unterlagen. In diese Becken kommen nicht mehr benötigte Brennstäbe, ehe sie ins Zwischenlager gelangen. Was die Kühlung des Reaktors an sich angeht, verfügten aber alle Anlagen über "entsprechende Notfallmaßnahmen", heißt es im Abschlussbericht der Kommission. In einigen neueren Anlagen seien die Notkühlanlagen doppelt gesichert.

Vorsorge für das Unerwartete: Die Kommission fordert eine Erweiterung der gegenwärtigen Konzepte für den Schutz vor Notfällen. So brauche es Katastrophenpläne für den Fall, dass sich ein Kraftwerksgelände wie in Fukushima zunächst nicht mehr erreichen lässt; die Rettung sich also verzögert. Die bisherigen Antworten der AKW-Betreiber ließen noch keine Einschätzung zu, ob diese Pläne ausreichten. So müsse überprüft werden, wie sich etwa nachträglich Wasser in Reaktordruckbehälter einfüllen lässt, ohne dass Menschen verstrahlte Bereiche eines havarierten Kraftwerks betreten müssen. Viele Lehren aus Japan sind noch nicht gezogen.

Schutz vor Flugzeugabstürzen: Dies ist der heikelste Punkt der Untersuchung. Je nach Baujahr verfügen die Kernkraftwerke über unterschiedlich starke Kuppeln. Um Terrorangriffe auf die Kuppeln zu verhindern, installierten Betreiber einiger Anlagen sogar Vernebelungsmaschinen, etwa in Biblis. Nach Auffassung der Reaktorsicherheitskommission aber lässt sich für die Reaktoren Brunsbüttel, Philippsburg 1 sowie Biblis A und B derzeit nicht einmal für den Aufprall eines Starfighters ein hinreichender Schutz nachweisen, teilweise gilt dies auch für das brennende Kerosin nach einem solchen Absturz.

Die Meiler Unterweser, Isar1 und Neckarwestheim1 könnten allenfalls der Wucht eines Starfighters, nicht aber der eines mittelgroßen Verkehrsflugzeugs standhalten. Entsprechend falle auch der Schutz vor einem terroristischen Angriff aus - ob mit Sprengstoff oder einem gezieltem Flugzeugabsturz. Und die Anfälligkeit für Attacken mit Computerviren wie Stuxnet wird derzeit von den Ländern geprüft. Allerdings ist diese Bedrohung in deutschen Kernkraftwerken überschaubar: Viele von ihnen laufen noch mit der analogen Technik der siebziger und achtziger Jahre.

© SZ vom 18.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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