Der Wanderprediger:Joschka erklärt den Amerikanern Europa

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Der Ex-Außenminister beglückt nicht nur die Princeton-Studenten, sondern tourt als Gastredner durch die US-Universitäten. In Michigan versucht er den Zuhörern die Bedeutung Europas näherzubringen - mit gewohnt plastischen Vergleichen.

Matthias Kolb, Ann Arbor

Ann Arbor ist eine grüne Stadt, zumindest für amerikanische Verhältnisse. Das Wappen der Unistadt nahe Detroit zeigt einen Baum, es gibt viele Parks und es sind sogar Fahrradfahrer unterwegs. Vor dem Hauptgebäude der renommierten University of Michigan hängt die US-Fahne auf Halbmast, weil wieder ein Soldat aus dem Bundesstaat im Irak gefallen ist. Auf dem Campus verteilen Studenten Anti-Bush-Flugblätter, und an vielen Strommasten kleben Sticker wie "Support our Troops. Bring them home" oder "No blank check for endless war".

Erklärt für sein Leben gern die Welt: Joschka Fischer, hier an der Universität München (Foto: Foto: Rumpf)

Joschka Fischer konnte also auf aufgeschlossene Zuhörer hoffen. Der frühere Außenminister, Grünen-Alphatier und jetzige Professor in Princeton hielt am Mittwoch Abend einen Vortrag über "Redefining the European Union: Why it matters to the US." Die meisten Studenten wissen jedoch nicht allzu viel über den 58-Jährigen zu berichten: "Er war deutscher Außenminister", sagt Jessica, und ihre Nachbarin ergänzt: "Er war gegen den Irak-Krieg, oder?"

Also machen sich die beiden Mädchen eifrig Notizen, als Dekan Terry McDonald Fischers Lebenslauf referiert. Als Gastgeschenk überreicht McDonald dem prominenten Gast ein dunkelblaues Trikot des Soccer-Teams der Universität, denn schließlich kickte Fischer lange beim FC Bundestag. Der nickt und geht zum Rednerpult. Er fühle sich geehrt, über die transatlantischen Beziehungen sprechen zu dürfen - und beginnt gleich mit einer Geschichte aus Baden-Württemberg.

Eloge auf eine grüne Nachwuchshoffnung

Ann Arbors Partnerstadt ist nämlich Tübingen, wo seit kurzem mit Boris Palmer ein grüner Oberbürgermeister regiert. Mit 34 Jahren sei Palmer jünger als er selbst bei seinem Einstieg in die Politik, und Fischer prophezeit seinen Zuhörern: "Sie werden noch viel von ihm hören." Die Dinge in Deutschland entwickeln sich also gut, und so kann sich der Außenminister a.D. der Weltpolitik widmen.

Lässig steht er vor dem gut gefüllten Saal: Hellblaues, offenes Hemd und ein dunkelblaues Sakko, dazu eine schmale Brille. Die linke Hand steckt in der Hosentasche und mit der rechten verdeutlicht er das Gesagte. Laut Professor Fischer lässt sich das heutige Europa nicht verstehen, ohne die Geschichte des Kontinents zu kennen: "History matters". Es beginnt eine Nachhilfestunde der europäischen Integration. Für jeden Mitgliedsstaat bedeute "Europa" etwas anderes.

Man merkt Fischer an, dass er seit September als Professor in Amerika lehrt und mittlerweile pro Vortrag fünfstellige Dollarsummen kassiert. Er führt Daten aus der US-Geschichte an, um seine Ausführungen zu verdeutlichen, kommt wieder auf seine Fußballer-Vergangenheit zurück oder berichtet von seinen ersten Monaten in Amerika. "Hier sind die Städte sehr ähnlich: Immer die gleichen Shopping Malls und immer die gleichen Buchläden von Barnes & Noble."

Europa sei vielfältiger und das gelte es zu bewahren. Immer wieder setzt er Pointen, die ihm Lacher einbringen - etwa wenn er die Auflösung der Tschechoslowakei mit der Schei-dung eines alten Ehepaars vergleicht. Sein Stil kommt an: "Er war sehr beeindruckend, ein weltgewandter und kluger Mann", sagt Mitchell Sutier. Die amerikanischen Politiker seien viel steifer, findet der Student.

Immer wieder betont Fischer, dass Amerika und Europa gemeinsam viel erreichen könnten - egal ob es um die Verbreitung von Nuklearwaffen, Klimaschutz oder die Herausforderungen der Globalisierung geht. Momentan sei das Verhältnis zwar schlecht, doch mit einer neuen US-Regierung werde sich das ändern.

"Come on, this is a university"

Gestenreich will Fischer die Studenten zum Reflektieren motiveren: "Was bedeutet Macht heutzutage?", fragt er. Im Publikum bleibt es still, was er mit einem "Come on, this is a university" kontert. Im 21. Jahrhundert gehe es nicht mehr darum, anderen seinen Willen aufzuzwingen: "Wenn ein Marsmensch die Situation im Irak ansehen würde, käme er zum Ergebnis, dass die Amerikaner innerhalb weniger Tage gewinnen müssten."

Doch die militärische Überlegenheit könne man heute nicht mehr voll ausspielen, wenn man die Ziele eines Regimewechsels oder der Demokratisierung erreichen möchte. Hier hätten die Europäer auf dem Balkan viel Erfahrung und man sollte enger zusammenarbeiten. Gleiches gelte für die Klimaproblematik: "Man kann die Luftverschmutzung nicht mit Waffen bekämpfen", ruft der Grüne und grinst, als die Lacher einsetzen.

Nach dem fast 50-minütigen Vortrag gibt es langen Applaus, doch für Fragen ist kaum Zeit übrig, denn Fischer muss weg. Eine Lektionen hat der einst beliebteste deutsche Politiker in Princeton aber gelernt: "Keine Vorlesung ohne Diskussion", ruft er. "Wo ist die Opposition?" Ein älterer Mann ist als erster am Mikrofon und fragt, ob Deutschland und Amerika durch die Anerkennung Kroatiens Anfang der Neunziger Jahre nicht den Balkankrieg mit ausgelöst hätten. Er setzt nach: "Sie würden es ja auch nicht wollen, dass sich Bayern abspaltet, oder?"

"Super Prime Minister Franz Josef Strauß"

Fischer, einst hessischer Umweltminister, holt aus: Ein Bundesstaat könne nur funktionieren, wenn sich kein Teilstaat überlegen fühle. Diese These illustriert er am Beispiel Bayerns mit folgendem Szenario: Die anderen Bundesländer beschließen nach dem Tod des "super Prime Minister Franz Josef Strauß", dass die bayerische Verfassung nicht mehr gilt. Wer Lederhosen trägt, wird bestraft und alle Kreuze werden aus den Schulen entfernt.

"Zehn Jahre später hätten wir eine Bewegung gehabt, die für die Abspaltung Bayerns kämpft", spekuliert Fischer. Dann bedankt sich Fischer artig und verlässt schnellen Schrittes den "Michigan League Ballroom".

Die meisten Studenten stört der etwas abwegige Bayern-Exkurs nicht. "Mir hat der Vortrag gefallen", sagt der 21-jährige Alexander Tiesher - auch wenn ihm der Name Joschka Fischer bis heute unbekannt war. Er stimmt zu, dass Amerika und Europa vieles verbessern könnten, wenn sie enger zusammenarbeiten würden. Mitchell Sutier ergänzt: "Ich fand es sehr interessant, was er über Macht im 21. Jahrhundert gesagt hat." In Amerika gehe immer nur "um Soldaten und Waffen", klagt der Wirtschaftsstudent. Fischer habe einige frische Ideen gebracht - auch in das fortschrittliche Ann Arbor.

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