Daimler:Das Prinzip Freiwilligkeit

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Rückrufaktionen könnten Daimler in den USA in die Bredouille bringen. Dort drohen milliardenschwere Klagen.

Von Hans Leyendecker und Klaus Ott

VW, Audi, Porsche, Daimler - inzwischen ermitteln drei Staatsanwaltschaften in diesen Fällen. Das ist ein Alarmsignal für die Konzerne; auch für Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ist die Lage alles andere als einfach. Und all die heftigen Diskussionen, die vielen Fragen werden noch dadurch befeuert, dass die US-Justiz im Hintergrund wartet.

Exemplarisch zeigte sich dies in der vergangenen Woche beim Fall Daimler. Forschungsvorstand Ola Källenius musste am Donnerstag im Verkehrsministerium vorsprechen. Mehr als eine Million Dieselfahrzeuge mit den Motoren OM 632 und 651 könnten manipuliert sein. Eine Software soll dafür gesorgt haben, dass die Abgasreinigung bei offiziellen Messungen von Behörden auf dem Prüfstand bestens funktioniert, auf der Straße aber weitgehend abgeschaltet wird.

Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das Dobrindt untersteht, prüft den Fall. Derzeit gibt es drei Szenarien, wie es reagieren kann. Erstens: An den Verdachtsmomenten, die auf Ermittlungen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft zurückgehen, ist nichts dran. Alles bestens also.

Zweitens: Es ist doch etwas dran, und Daimler rüstet freiwillig nach. Freiwilligkeit ist überhaupt das Zauberwort in dieser Affäre. Weil die Schadstoffwerte bei insgesamt 22 Modellen viel zu hoch ausgefallen waren, hatten sich der schwäbische Autohersteller und weitere Konzerne im vergangenen Jahr bereit erklärt, 630 000 Dieselfahrzeuge nachzurüsten. Wie gesagt: freiwillig. Daimler und die anderen Unternehmen könnten dabei von einer sehr dehnbaren EU-Verordnung profitieren. Demnach sind Abschalteinrichtungen der Motoren zur Manipulation der Abgaswerte im Prinzip unzulässig. In der Praxis sind jedoch Ausnahmen erlaubt, beispielsweise um die Motoren vor Schäden zu bewahren. Die Ausnahmen werden manchmal zur Regel.

Szenario Nummer drei: Sollten Dobrindt und das KBA am Ende der jetzt anlaufenden Untersuchungen im Fall Daimler einen Rückruf von zahlreichen Dieselfahrzeugen und deren Nachrüstung anordnen, wäre klar, dass Daimler Schadstoffwerte manipuliert und so gegen Recht und Gesetz verstoßen hätte. Von Freiwilligkeit wäre dann keine Rede mehr.

In Berlin und in Stuttgart befürchtet man einen zweiten Fall Volkswagen

Das könnte für den Konzern in den USA verheerend sein. Schadenersatzzahlungen und Strafen in Milliardenhöhe drohen. In Washington beschäftigt sich das Justizministerium in einer Art Vorverfahren mit dem Fall der deutschen Traditionsmarke. Jede deutsche Zwangsmaßnahme würde die Position von Daimler in Übersee stark schwächen.

An einem zweiten Fall Volkswagen hat nicht nur in Berlin keiner Interesse. Vorsorglich hat Daimler für den Fall, dass das dritte Szenario wahr werden sollte, der Bundesregierung bereits "mit allen rechtlichen Mitteln" gedroht, gleichzeitig aber "intensive Abstimmung" mit den Behörden beteuert. Nur, was werden die Messungen des Kraftfahrt-Bundesamtes ergeben? Zu welchem Ergebnis kommt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft? Und was finden die amerikanischen Ermittler selbst heraus? Die Formel Freiwilligkeit verschafft Dobrindt eine Menge Spielraum - jedoch nur solange ihn die anderen lassen.

© SZ vom 17.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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