Dänemark übernimmt EU-Ratspräsidentschaft:Eine Freundin und viele Skeptiker

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Die Dänen mussten zuletzt das Gefühl haben, dass sich ihre Premierministerin Helle Thorning-Schmidt auf die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union freut. Das macht deutlich, dass die Regierungschefin und ihr Volk höchst unterschiedliche Meinungen von Europa haben.

Gunnar Herrmann

Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt hat einiges vor in den nächsten sechs Monaten: Euro-Krise bewältigen, den Riss zwischen Großbritannien und den anderen EU-Ländern kitten, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wieder in Schwung bringen.

Freundlich aber entschieden: Dänemarks Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt. (Foto: AFP)

Die Ratspräsidentschaft, die Dänemark am 1. Januar von Polen übernommen hat, ist voll von kniffligen Aufgaben. Sollte Thorning-Schmidt davor bang sein, hat sie das jedenfalls bislang nicht gezeigt. Im Gegenteil: Sie lässt derzeit kaum eine Gelegenheit aus, um über die bevorstehenden Herausforderungen zu plaudern. So war sie nicht nur in einer, sondern gleich in allen drei führenden Tageszeitungen Dänemarks am zweiten Weihnachtsfeiertag mit großen Interviews präsent, wo sie mit viel Elan das Programm der Ratspräsidentschaft erläuterte. Beim Leser blieb nach der Lektüre das Gefühl zurück, dass da jemand in Kopenhagen regiert, der sich tatsächlich auf Brüssel freut.

Streitpunkt Zollkontrollen

Das ist angesichts der vielen Probleme erstaunlich. Umso mehr, als gerade Dänemark in den vergangenen Jahren nicht gerade durch Europa-Enthusiasmus aufgefallen ist. Erst im Sommer waren die Beziehungen zwischen Kopenhagen und anderen EU-Staaten auf einem Tiefpunkt angelangt. Da hatten die Dänen angekündigt, wieder Zoll- und Passkontrollen an ihren Grenzen einzuführen.

In Deutschland forderten einige Politiker daraufhin sogar zum Urlaubsboykott gegen den nördlichen Nachbarn auf. Aber am 15. September wählten die Dänen ein neues Parlament. Und seitdem ist alles anders. Die von den Rechtspopulisten gestützte liberalkonservative Regierung musste abtreten. Die Sozialdemokratin Thorning- Schmidt zog in die Staatskanzlei ein. Und eine ihrer ersten Amtshandlungen war es, die Grenzkontrollen, die noch gar nicht richtig in Gang gekommen waren, wieder abzuschaffen.

Die Erwartungen an den kommenden Ratspräsidenten aus dem Norden sind hoch gesteckt, zumindest von einigen. "Ich glaube Dänemark könnte eine Brücke sein, zwischen den Ländern innerhalb und außerhalb der Euro-Zone", sagte José Manuel Barroso kurz vor Weihnachten der dänischen Zeitung Politiken.

"Es war genau diese Position als Brückenbauerin, die die Ministerpräsidentin auch schon beim Gipfeltreffen Anfang Dezember eingenommen hat. Das ist es, was wir in Europa brauchen. Wir brauchen Einheit und Solidarität", lobte der Kommissionspräsident. Andere waren weniger freundlich. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy etwa soll Thorning-Schmidt beim selben Gipfel angeschnauzt haben: "Ihr steht außen vor, ihr seid ein kleines Land, und Sie sind neu. Wir haben keine Lust, Ihnen zuzuhören." Vielleicht wird die Dänin ja eine erste Brücke nach Paris bauen müssen.

Dass Dänemark in einigen Bereichen der EU außen vor steht, ist jedoch richtig. Das Land hat sich in den Verträgen von Maastricht mehrere Vorbehalte gesichert. So darf es sich nicht an gemeinsamen Militäreinsätzen der EU beteiligen und ist beim Rechts- und Justizwesen nicht voll integriert. Außerdem muss Dänemark der letzten Stufe der Währungsunion fern bleiben, dem Euro, obwohl es die Kriterien dafür erfüllen würde. Thorning-Schmidt will die beiden erstgenannten Vorbehalte noch in dieser Wahlperiode per Volksabstimmung abschaffen lassen. Eine parteiübergreifende Absichtserklärung dazu gibt es bereits. Doch selbst eingefleischte Brüssel-Freunde trauen sich nicht, ein Referendum zum Euro vorzuschlagen. Ein Euro-Beitritt sei derzeit nicht durchzusetzen, darum werde sie es auch nicht probieren, selbst wenn sie persönlich einen Währungswechsel für gut halte, sagte Thorning-Schmidt kürzlich.

International verdrahtet

Im Wahlkampf im vergangenen Herbst hatte Thorning-Schmidt das Thema Europa nach Möglichkeit vermieden. Aus gutem Grund: Die meisten Dänen sind ausgeprägte EU- Skeptiker und daran kann kein Politiker vorbeiregieren, wenn er ernsthaft nach der Macht in Kopenhagen strebt. Umso erstaunlicher ist es, dass nun trotzdem eine ausgesprochene Freundin der EU an der Regierungsspitze steht.

Wie eng Thorning-Schmidts Verhältnis zu Europa ist, spiegelt sich in ihrer Biographie wider: Studium am Europakolleg in Brügge, danach der erste richtiger Job als Sekretariatsleiterin der dänischen Sozialdemokraten im Europaparlament. 1999 errang sie dort selbst ein Abgeordnetenmandat. Auch privat liebt sie es international: Sie ist mit dem Briten Stephen Kinnock verheiratet, dem Sohn des ehemaligen Labour-Vorsitzenden Neil Kinnock. Dass ausgerechnet eine EU-Ratspräsidentschaft ihr erster großer Auftritt als Ministerpräsidentin auf internationalem Parkett wird, kann Thorning-Schmidt darum nur recht sein. Europa war schon vorher ihre Bühne. Dort wirkt sie manchmal sogar sicherer als in der dänischen Innenpolitik.

Eine große Frage der nächsten Monate wird sein, wie sich Dänemark zum Euro- Rettungspakt verhält. Die Ministerpräsidentin hat beim Gipfel im Dezember Zustimmung signalisiert. Doch nur einen Tag später schoss bereits ihr Außenminister Villy Søvndal quer. Die Beschlüsse seien "richtig schwierig für Dänemark", sagte der Chef der Linkspartei, und klang dabei überhaupt nicht zustimmend.

Zwei große Bedenken werden von den Gegnern des Paktes vorgebracht. Erstens: Werden die harten Haushaltsregeln auch für nicht-Euro-Länder wie Dänemark gelten? Wenn ja, wäre das groß angelegte Konjunkturprogramm der neuen Regierung gefährdet und somit auch die wackelige Koalition aus Sozialdemokraten, Linken und Linksliberalen.

Die zweite Frage ist: Widerspricht der Beitritt zum Rettungspakt dem Vorbehalt, den sich Dänemark in den Maastrichtvertrag schreiben ließ? Träte also Dänemark damit der Währungsunion durch die Hintertür bei? In diesem Fall wäre ein Referendum zum Euro-Vorbehalt nötig. Und genau das wollte Thorning-Schmidt vermeiden. Denn innenpolitisch hat die 45-Jährige gerade einen schweren Stand: Ihre Sozialdemokraten und ihre eigene Popularität sind in einem Umfragetief.

© SZ vom 02.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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