CSU:Grußlos

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13.30 Uhr: Seehofer verschwindet in der Parteizentrale. 15 Uhr: Die Sitzung des Vorstands beginnt. 15.42 Uhr: Seehofer stellt sich gegen Merkel - Chronologie eines Nachmittags.

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl

Zum Wohlsein! Angela Merkel und Horst Seehofer am Samstagabend auf dem Balkon des Kanzleramts. (Foto: Paul Zinken/AFP)

Eineinhalb Stunden vor der historischen Sitzung, die womöglich über den Fortbestand der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU entscheidet, kommt CSU-Chef Horst Seehofer in der Münchner Parteizentrale an. Als er aus seiner Limousine steigt, meint man, den Ansatz eines Lächelns zu erkennen. Gleich wird er gewiss - wie immer - mit den Reportern schäkern, hier ein spöttischer Spruch, dort ein süffisanter Blick. Aber Seehofer macht: nichts. Er verschwindet grußlos im Gebäude. Wer wirklich dachte, die Staatskrise sei schon abgewendet, der weiß es am Sonntag um 13.30 Uhr besser.

Die Republik war ja fast erleichtert gewesen am Freitag, als die Prüfung der Brüsseler Verhandlungsergebnisse ergab: Angela Merkel hat weit mehr erreicht, als ihr viele zugetraut hatten. Die Bundeskanzlerin selbst hatte ja sogar eine kleine Handreichung zur Interpretation mitgeliefert: "Mehr als wirkungsgleich" seien die vereinbarten Maßnahmen, wenn man sie den von Innenminister Seehofer geplanten Zurückweisungen an der Grenze gegenüberstellt. Die Frage des Wochenendes war nun also, ob die CSU das genauso sehen würde.

Um 15 Uhr soll die Vorstandssitzung am Sonntagnachmittag beginnen, es ist 15.42 Uhr, als die erste Nachricht nach außen dringt. Merkels Gipfelergebnisse, sagt Seehofer laut Sitzungsteilnehmern, seien nicht wirkungsgleich mit Grenzkontrollen und Zurückweisungen. Die Erleichterung vom Freitag - war sie verfrüht?

"Führungsverantwortung", dieses Wort hat man in den vergangenen Tagen öfter aus Seehofers Umfeld gehört. Aber was bedeutet es: Verantwortung für die CSU? Oder Verantwortung für die Regierung? Vertraute sagen, Seehofer habe einmal in einem Duell mit Merkel zurückgezogen, im Jahr 2004, als er im Streit um die Kopfpauschale bei der gesetzlichen Krankenversicherung als Unions-Fraktionsvize abtrat. Und auch im Bundestagswahlkampf 2017 habe er sich in der Flüchtlingspolitik auf einen Kompromiss mit ihr eingelassen. Ihn habe das eine Menge gekostet, heißt es in der CSU: seine Glaubwürdigkeit und am Ende sein Amt als Ministerpräsident, das er an den ewigen Rivalen Markus Söder abgeben musste. Und Merkel? Regiere einfach weiter, obwohl sie ihm die Suppe eingebrockt habe.

Der Fraktionschef in München nordet die Abgeordneten ein. Sofern das überhaupt nötig ist

Die Vorstandssitzung bekommt eine neue Dramaturgie, als Seehofer eine Ankündigung macht: Zum Ende der Sitzung, sagt er, werde er eine "persönliche Erklärung" abgeben. Danach soll darüber abgestimmt werden. Eine persönliche Erklärung des Parteichefs - es wäre untertrieben, das als unüblich zu bezeichnen. Seehofer bittet alle Anwesenden, wegen der Abstimmung bis zum Ende zu bleiben. Im Saal meldet sich bei vielen das Bauchgefühl, dass Seehofer aufs Ganze gehen will. Dass er nicht ohne Grund sein Lächeln verloren hat.

Der Unionsstreit hat auf Seiten der CSU mehrere Hauptdarsteller, auch den Wahlkämpfer Söder und den Berliner Landesgruppenchef Alexander Dobrindt. Aber im Grunde ist es Seehofer allein, der die eine Entscheidung treffen muss, die Merkels und seine Laufbahn mit einem großen Knall beenden könnte: Weist er die Maßnahmen an der Grenze an oder nicht? In der ersten Stunde der Vorstandssitzung gibt er darauf keine Antwort. Für die CSU, sagt er, gelte das Prinzip "Handlung und Haltung". Was heißt das jetzt? Seehofer wurde früher immer wieder mal gern als "Sphinx" beschrieben - am Sonntag erweist sich, wie zutreffend das war.

In der Sitzung entspinnt sich die Debatte der Vorstandsmitglieder und der CSU-Bundestagsabgeordneten; Letztere waren wegen der eminenten Bedeutung des einzigen Tagesordnungspunkts extra dazugeladen worden waren. Immer mehr Eindrücke dringen aus dem Saal, "alles ist noch offen", sagt ein Teilnehmer, vielleicht ist es eine Feststellung, vielleicht auch nur eine Hoffnung. Es verdichtet sich ein Bild: Sollte Seehofer sich vorher festgelegt haben, ob er mit einer Anweisung seine Entlassung durch die Kanzlerin riskiert - er lässt es sich nicht anmerken. Er hört erst mal, was seine Parteifreunde zu sagen haben.

Genau das haben die politischen Beobachter schon das ganze Wochenende getan und dabei zunächst zarte Signale der Entspannung empfangen. Die Europapolitiker der CSU gaben den Ton vor: Merkel habe geliefert, viel erreicht, sagen am Freitag Manfred Weber und Angelika Niebler. Beide machen freilich einen Zusatz: Jetzt komme es auf die Umsetzung an. Und es brauche wenigstens zeitweise flankierende nationale Maßnahmen, sagt Niebler. Dieser Punkt bekommt in der CSU umso mehr Bedeutung, je weiter man sich von Freitag und von Brüssel entfernt.

In München staunt man, wie ungewöhnlich selbstbewusst und gelöst sich Merkel am Wochenende gibt. Dass sie mit ihrer Deutung der Gipfelergebnisse vorprescht, nehmen ihr viele in der CSU übel. So raube sie Seehofer den Spielraum für eine gesichtswahrende Lösung - gesichtswahrend für beide. Bei "Maischberger" in der ARD am Mittwoch hatte Seehofer ja davon gesprochen, dass seine Glaubwürdigkeit total zerstört wäre, würde er nachgeben. Und es gibt nicht wenige in der CSU, die sagen, dass das für die Partei als Ganzes auch gelte.

CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer, ein Hardliner in der Flüchtlingsfrage, nordet seine Abgeordneten schon am Freitag ein, sofern das überhaupt nötig sein sollte. Er spricht in Bezug auf Merkels Gipfelergebnisse von einem "großen Bluff". Die Menschen in Deutschland ließen sich "nicht an der Nase herumführen". Mit Merkels Vereinbarungen stehe man kurzfristig sogar schlechter da als vor der Nacht von Brüssel, erklärt Kreuzer. Schließlich würden zunächst mehr Zuwanderer in die Bundesrepublik kommen, als sie verlassen. Ein anderer CSU-Mann sekundiert: "Wenn es blöd läuft, haben wir in den nächsten Wochen mehr Zuwanderung als vorher." Und dafür solle Deutschland auch noch mehr bezahlen? Kreuzer schlussfolgert: Das werde man der Bevölkerung in Bayern "nie und nimmer als Erfolg und die Erfüllung unserer Forderungen verkaufen können".

Söder hatte Termine in Erlangen, Ansbach und München. Alles eigentlich harmlose Termine

Markus Söder gibt sich am Samstagvormittag beim Bezirksparteitag der Oberfranken-CSU etwas diplomatischer. Merkel habe in Europa mehr erreicht als gedacht, aber die Vereinbarungen seien doch alle sehr vage. Auch Söder spricht da noch von nationalen Lösungen, die das Abkommen hergebe. Er weiß nicht, dass Merkel diese Lesart wenig später einkassieren wird. Söder spielt am Samstag noch auf Zeit, erst am Sonntag werde entschieden.

Der Unionsstreit hat Söder in den vergangenen Tagen verfolgt, und wohl nicht immer so, wie er sich das vorstellte. Bei der Eröffnung des Münchner Filmfests wurde er vom Kulturreferenten der Landeshauptstadt mit Mackie Messer verglichen, beim Schlossgartenfest in Erlangen erhoben sich bei Söders Rede Buh-Rufe. Und auch am Sonntagmorgen, beim Gottesdienst zum "Tag der Franken" in Ansbach, steht plötzlich eine Botschaft im weiten Kirchenschiff, die an Söder adressiert sein könnte.

"Gedanken des Friedens" und "Mut zur Entscheidung" wünscht der Pfarrer den Stützen der Gesellschaft, Söder sitzt in der ersten Reihe, seine CSU kann gerade sicher beides gebrauchen. Der Pfarrer sagt: "Lasst uns alle unsere Verantwortung erkennen für Menschen, denen ihre Heimat genommen wurde und die bei uns eine neue Heimat finden." Aus Söders Umfeld hört man, dass er das Grummeln in der Bevölkerung sehr wohl wahrnimmt, dass er das Thema nun einfach rasch abräumen will. Kurz könnte man glauben, die CSU sehe ein, dass sie überzogen hat.

Was für einen Unterschied ein Tag macht. Die Debatte im Vorstand geht weiter und weiter, die CSU nimmt sich immerhin Zeit für eine möglicherweise historische Entscheidung. In einem waren sich die Christsozialen am Wochenende einig gewesen: Angela Merkel wird Horst Seehofer nicht aus dem Kabinett werfen, nicht den Parteichef der CSU. Sie werde nicht das Ende ihrer Kanzlerschaft und das Ende der Union riskieren. Am späten Sonntagnachmittag sind sich da viele nicht mehr ganz so sicher.

© SZ vom 02.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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