Christian Wulff empfängt die Sternsinger:Der schwierige Weg zurück zur Normalität

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Christian Wulff hat sich entschieden, Amtsroutine zu simulieren: Doch während der Bundespräsident im Schloss Bellevue Kinder beim traditionellen Sternsingen empfängt, lässt ihn die Kanzlerin wissen, dass er seine Krise alleine zu lösen hat. Regierungssprecher Seibert jedenfalls sagt keinen Satz, der in der Sache Wulff versus "Bild"-Zeitung einesTages gegen Angela Merkel verwendet werden könnte.

Daniel Brössler und Nico Fried, Berlin

Um 11.07 Uhr öffnet sich die schwere Tür von Schloss Bellevue, und der Bundespräsident tritt heraus. Nicht für immer, nur um seine Gäste zu begrüßen, die Sternsinger. "Schön, dass ihr da seid", sagt Wulff, während sich seine Frau Bettina in der Kälte die Hände reibt, aber trotzdem tapfer lächelt. Eine Leiter wird gebracht, ein Junge im Königsgewand klettert rauf und schreibt den Segensspruch mit Jahreszahl an die Tür. "Die Zeichen für den Segen Gottes wollen wir nun schreiben. Sie sollen wie der Segen selbst das ganze Jahr hier bleiben", sagt dazu eine Sternsingerin.

"Schön, dass ihr da seid": Beim Empfgang der Sternsinger versucht Christian Wulff in die Amtsroutine zurückzufinden. (Foto: dapd)

Es ist in diesem Jahr der erste Auftritt Wulffs ohne Zugangsbeschränkung für die Medien. Entsprechend groß ist die Zahl der Berichterstatter. Als das Staatsoberhaupt und die 55 kleinen Könige im großen Saal angekommen sind, sagt Wulff angesichts der vielen Kameras, endlich werde die Arbeit der Sternsinger mal angemessen gewürdigt. Bemühte Ironie kann man das nennen. Als er sich für den Segensspruch bedankt, ist nur noch das Bemühen übrig: "Wir alle sollen ja auch ein Segen sein und kein Fluch."

Der Bundespräsident steht weiter unter Druck. Sein Auftritt im Fernsehen hat, gelinde gesagt, nicht alle Zuschauer überzeugt. Es sind noch Fragen offen. Christian Wulff aber hat sich entschieden, jetzt Normalität zu simulieren, Routine, präsidentiellen Alltag. "Die letzten Wochen waren so, dass man sich das nicht noch einmal zumuten muss; dass ich mich freue, dass das Jahr 2012 losgeht und ich mich meinen eigentlichen Aufgaben zuwenden kann", sagt er noch. Ob die Krise nun vorbeigeht, ob der Druck nachlässt, wer will das sagen?

Wertschätzung für den Menschen Wulff - und für den Präsidenten

Angela Merkel jedenfalls nicht. Während im Schloss Bellevue noch der Stern über Bethlehem und seine wegweisenden Eigenschaften besungen werden, wägt Steffen Seibert, der Kanzlerin Sprecher, vor der Hauptstadtpresse seine Worte. "Es gibt keinen Moment, wo man sagen kann, jetzt ist es vorbei", erläutert er. "Eine Debatte entwickelt sich, wie sie sich entwickelt. Es hat keinen Zweck, etwas für erledigt zu erklären." Wulff habe ja schon viele Fragen beantwortet, und die Kanzlerin habe "vollstes Vertrauen", dass er auch alle weiteren relevanten Fragen mit der gleichen Offenheit beantworten werde - "sollten welche auftauchen".

Das werden sie, da scheint man im Kanzleramt ziemlich sicher zu sein. Obwohl Merkel ihn noch einmal ihre " großeWertschätzung" für den Menschen und Präsidenten Wulff äußern lässt, will Seibert jedenfalls keinen Satz sagen, der in der Sache Wulff versus Bild-Zeitung eines nicht fernen Tages gegen die Kanzlerin verwendet werden könnte. Ob das Protokoll der Wulff'schen Mailbox-Nachricht veröffentlicht werde, liege "ausschließlich zwischen dem Bundespräsidenten und der Bild-Zeitung".

Die Entscheidung Wulffs dagegen sei "zu respektieren und wird von der Bundeskanzlerin nicht kommentiert". Als ein Journalist schlussfolgert, Merkel halte die Veröffentlichung also nicht für notwendig, legt Seibert Wert auf die Feststellung, er sei falsch zitiert worden. "Ich habe nicht gesagt, dass sie das nicht für notwendig oder für angemessen hielte", stellt er klar. Im Konflikt zwischen Präsident und Bild will die Bundeskanzlerin, so scheint es, neutral bleiben.

Auch die Forderung, die Kanzlerin solle sich der Sache persönlich annehmen, lässt Angela Merkel bislang jedenfalls in der Öffentlichkeit nicht an sich heran. SPD-Chef Sigmar Gabriel forderte am Freitag, Wulff möge den umstrittenen Wortlaut seines Telefonats mit der Mailbox von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann veröffentlichen lassen. "Wenn er das nicht von alleine versteht, muss ihm das jemand raten. Und das kann nach Lage der Dinge nur die Bundeskanzlerin. Sie hat ihn ins Amt geholt, sie muss das jetzt auch klären", so Gabriel.

Bevölkerung ist geteilter Meinung

Der Regierungssprecher sieht die Lösung der Krise hingegen im Schloss Bellevue. "In der Mischung aus Transparenz und der täglichen Arbeit des Staatsoberhauptes kann Vertrauen wieder zurückgewonnen werden", sagt Seibert. Kann. Das soll nach einer Möglichkeit klingen, nicht nach blinder Zuversicht. Und die Frage, ob das Amt beschädigt worden ist, will Seibert lieber gar nicht beantworten. Nur so viel: "Das Amt des Bundespräsidenten ist eines, das man mit großer Achtung behandeln muss, und zwar von außen wie von innen."

Die Bevölkerung ist geteilter Meinung über Wulff. In einem "ARD-Deutschlandtrend extra" fanden 61 Prozent derjenigen, die das Fernsehinterview am Mittwochabend gesehen hatten, Wulff eher nicht überzeugend - 30 Prozent sahen ihn positiver. 60 Prozent der Befragten meinten aber, Wulff habe "eine zweite Chance verdient", 36 Prozent sahen dies anders. 56 Prozent sprachen sich dafür aus, dass Wulff im Amt bleibt - neun Punkte mehr als vor dem Interview.

Die Koalitionsparteien Union und FDP hielten sich am Freitag weitgehend an die Marschroute ihrer Vorderleute, die Debatte nun möglichst versanden zu lassen. Stellungnahmen für Wulff kamen nur noch aus der zweiten und dritten Reihe. Ansonsten ließ Niedersachsens Ministerpräsident und Nachfolger Wulffs, David McAllister, über einen Sprecher mitteilen, er sei auch für sorgfältige Aufklärung. Und die Grünen im Landtag zu Hannover taten kund, was sie sich darunter vorstellen: Sie legten einen Katalog mit 100 Fragen an die Landesregierung vor.

© SZ vom 07.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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