Dissident Ren Zhiqiang:Wo man mit gesundem Menschenverstand schockieren kann

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Volkes Stimme: Ren Zhiqiang hat es gewagt, die Gleichschaltung der Medien in China durch Parteichef Xi Jinping zu kritisieren. (Foto: Liu youzhi/Imaginechina/AP)

Sie nannten ihn "die Kanone": Der Immobilien-Millionär Ren Zhiqiang galt als unantastbar. Nun macht China ihn mundtot.

Von Kai Strittmatter, Peking

Amerikanische Medien nennen ihn gerne den "Donald Trump" Chinas, aber das ist Unsinn. Ja, auch Ren Zhiqiang hat sein Geld im Immobiliengeschäft verdient - aber es gibt einen großen Unterschied: Ren schockiert seine Umgebung zumeist, indem er schlicht dem gesunden Menschenverstand Ausdruck verleiht. So erdrückend sind Propaganda und Zensur in China mittlerweile, dass das reicht, um als skurriler, waghalsiger Außenseiter dazustehen.

Der pensionierte Unternehmer war einer der populärsten Blogger des Landes, zuletzt hatten mehr als 37 Millionen Chinesen Rens Konten in den sozialen Netzwerken des Landes abonniert. Sie nannten ihn "die Kanone", er war eine der letzten Stimmen, die der Linie von Parteichef Xi Jinping Widerworte gaben. Am Wochenende war Schluss: Die Zensurbehörde löschte Rens Konten.

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Rens Vergehen: Er hatte es gewagt, die Gleichschaltung der Staatsmedien durch Parteichef Xi zu kritisieren. Xi hatte vorletzte Woche unter anderem die Redaktionen des Staatssenders CCTV und der Nachrichtenagentur Xinhua besucht und dabei verlangt, alle Medien Chinas müssten künftig "mit Familiennamen 'Partei' heißen". Bislang geduldete Spielräume für die Redaktionen soll es in Zukunft offenbar nicht mehr geben.

"Seit wann ist die Volksregierung zur Parteiregierung geworden?", fragte Ren daraufhin in einem Kommentar auf dem Mikro-Bloggingdienst Weibo, der millionenfach die Runde machte. Wenn alle Medien den Namen der Partei trügen, schrieb er, dann "werden sie nicht mehr die Interessen der Menschen vertreten." Das Geld der Steuerzahler, fügte er hinzu, dürfe nicht für Dinge verschwendet werden, die nicht dem Steuerzahler dienten.

"Regime so diktatorisch wie seit 1989 nicht mehr"

Chinas Internetbehörde warf Ren nun am Sonntag vor, "negativen Einfluss" auszuüben und sagte, er habe "illegale Informationen" veröffentlicht. Die Behörde warnte andere Blogger, sie müssten "positive Energie" ausstrahlen. Die Löschung der Konten Rens war hernach großes Thema bei Internetnutzern, aber auch bei Unternehmern in Peking.

"So diktatorisch wie in letzter Zeit haben wir das Regime seit 1989 nicht mehr erlebt", sagte eine Dozentin einer großen Pekinger Universität der Süddeutschen Zeitung. "Alle ducken sich. Keiner traut sich mehr, den Kopf aus der Menge zu erheben."

Der Chinabeobachter Bill Bishop nannte das Vorgehen gegen Ren "für die Tycoone und die Pekinger Elite erschreckender und alarmierender als alles, was in den vergangenen Jahren passierte". In seinem Informationsdienst Sinocism schrieb Bishop: "Wenn Xi die Kapitalflucht noch anheizen will, dann ist das einer der Wege."

Die Nervosität speist sich auch aus der Tatsache, dass der seit zwei Jahren offiziell im Ruhestand lebende Ren Zhiqiang bisher als unantastbar galt. Die Mehrzahl der kritischen Blogger Chinas war schließlich schon 2013 zum Schweigen gebracht worden.

Ren aber ist kein typischer Dissident, im Gegenteil: Ren ist - wie Parteichef Xi Jinping auch - Angehöriger der roten Aristokratie. Sein Vater war einst stellvertretender Kulturminister, er selbst ist KP-Mitglied und wurde von der Partei in der Vergangenheit mehrmals als Modell-Genosse belobigt.

Ren legte sich mit so ziemlich jedem an

Das mächtige Politbüromitglied Wang Qishan - die rechte Hand von Parteichef Xi in dessen Antikorruptionskampagne - beschrieb Ren in seiner Autobiografie als Freund, der ihn manchmal noch spätnachts anrufe. Rens Eltern waren von Mao während der Kulturrevolution verfolgt worden, er selbst wurde damals aufs Land verschickt. Später machte er eine Karriere in der Armee, in den Achtzigerjahren dann stieg er ins Immobiliengeschäft ein. Er übernahm die Leitung der staatlichen Huayuan-Gruppe und war bald einer der bestbezahlten Manager des Landes.

Gleichzeitig nahm er nie ein Blatt vor den Mund. Als Weibo, Chinas Gegenstück zu Twitter, im Jahr 2009 online ging, war Ren bald dabei mit einem eigenen Konto. Er legte sich mit so ziemlich jedem an. Die einfachen Bürger verärgerte er, indem er sagte, wer sich die explodierenden Wohnungskosten in Peking nicht mehr leisten könne, der solle halt aufs Land ziehen.

Den Staatssender CCTV nannte er nach Angriffen auf seine Firma einmal "die dümmste Sau der Welt". Und als der Kommunistische Jugendverband im vergangenen Jahr den Kommunismus pries, da erteilte er seinen Millionen Followern eine Geschichtsstunde. Er berichtete von den Abertausenden Opfern Mao Zedongs und schrieb: "Diese kommunistischen Slogans haben uns über Jahre betrogen."

Den Parteilinken war Ren schon längst suspekt. Letzte Woche nun feuerte die Propaganda aus allen Rohren. Sie schimpfte Ren einen "Kapitalisten", der "düstere Pläne" habe, er wolle China auf "den Weg der westlichen Verfassungsherrschaft" locken. Undankbar sei er zudem, "wuchs er doch auf unter der liebevollen Fürsorge der Partei, wurde er doch reich unter ihrer weisen Führung".

© SZ vom 01.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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