Chile:Von der Versöhnerin zur Klüngelmutti

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Das Image von Michelle Bachelet änderte sich, als Korruptionsvorwürfe gegen ihren Sohn publik wurden. (Foto: Luis Hidalgo/AP)

Präsidentin Michelle Bachelet übergibt ihr Amt an den Konservativen Sebastián Piñera.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Niemand kann ihr vorhalten, sie habe es geruhsam ausklingen lassen. Michelle Bachelet, 66, hat in ihrer letzten Arbeitswoche als Präsidentin von Chile neben mehreren Gesetzen auch einen Vorschlag für eine neue Verfassung vorgelegt. Es ist alles in allem ein großer Wurf, die aktuelle Verfassung stammt noch aus der Zeit von Diktator Augusto Pinochet (1973 bis 1990). Trotzdem musste Bachelet für diese Initiative Häme von allen Seiten einstecken. Aus dem Umfeld des rechts-konservativen Multimillionärs Sebastian Piñera, 68, der ab Montag die Regierungsgeschäfte übernimmt, hieß es, ein solches Mammutprojekt ein paar Tage vor dem Machtwechsel könne man nicht ernst nehmen. Aber auch aus Bachelets intern zerstrittenem Mitte-Links-Lager kam Kritik: Diese Verfassungsreform, eines ihrer zentralen Wahlversprechen, komme viel zu spät und banalisiere ein fundamentales Zukunftsprojekt für Chile. Dass die Zeit viel zu kurz sein würde, um es im Kongress absegnen zu lassen, war ohnehin klar.

Die Debatte steht beispielhaft für das gesamte politische Erbe Bachelets: Sie hat vieles richtig gemacht, aber konnte es damit kaum einem recht machen. Als sie 2010, am Ende ihrer ersten Amtszeit, schon einmal von Piñera abgelöst wurde, trat sie mit Umfragewerten ab, von denen andere Demokraten nur träumen können (um die 80 Prozent). Am Ende ihrer zweiten Präsidentschaft ergeht es ihr so ähnlich wie dem kolumbianischen Friedensnobelpreisträger Juan Manuel Santos, der im Mai abtreten wird. Beide sind für ihr Reformprogramm international hoch angesehen und haben zu Hause fast jeglichen Rückhalt verloren.

Im Fall Bachelets hat das wohl auch mit der Fallhöhe zu tun. Ihr schmales Land hinter den hohen Bergen galt bis vor kurzem als immun gegen eine chronische lateinamerikanische Krankheit namens Korruption. Bachelet war im Gegensatz zu ihren einstigen Kolleginnen aus Argentinien und Brasilien, Cristina Kirchner und Dilma Rousseff, lange Zeit als Moralinstanz angesehen. Aus ihrer Biografie als Geschädigte der Pinochet-Diktatur, die ihren Vater verloren und ihren Sohn im Leipziger Exil zur Welt gebracht hatte, leitete sie ihre Rolle als behutsame Versöhnerin ab. Ihr Image änderte sich radikal, als 2015 ein Fall von Vetternwirtschaft um Sebastián Dávalos, den Kulturdirektor im Präsidialamt, publik wurde. Bachelet ließ diese Affäre viel zu lange köcheln. Dávalos ist ihr Sohn.

Das Etikett der Klüngelmutti wurde sie seither nie wieder los und in den Augen vieler Chilenen überlagert es auch die historischen Errungenschaften ihrer zweiten Regierungszeit. Bachelet hinterlässt zweifellos ein gerechteres und moderneres Land als jenes, das sie von ihrem Vorgänger und Nachfolger Piñera übernommen hatte. Sie setzte ein neues Wahlrecht, eine Steuer- und eine Gesundheitsreform durch, sie stärkte die Gewerkschaften, brachte die Homo-Ehe auf den Weg und führte einen gebührenfreien Universitätszugang für ärmere Bevölkerungsschichten ein. Zuletzt gelang es ihr gegen hartnäckigen konservativen Widerstand - angeführt von Piñera - auch das kategorische Abtreibungsverbot zu lockern, das ebenfalls noch von Pinochet stammte. Bachelet wirkte am Ende fast besessen von dem Plan, die Überbleibsel der Diktaturzeit auszumerzen. Zum Abschied sagte sie, sie trete in dem guten Gefühl ab, ihr Land dauerhaft verändert zu haben. Aber jetzt kommt Piñera, der nahezu alle ihre Reformen ablehnt.

Wenige Stunden vor der Amtsübergabe am Sonntag soll Bachelet nach Medienberichten noch ein Dekret unterschrieben haben, um das umstrittene Militärgefängnis Punta Peuco zu schließen. Dort sitzen verurteilte Menschenrechtsverbrecher der Pinochet-Ära ein - unter weit besseren Bedingungen als der Rest der Gefangenen. Piñeras neuer Justizminister Hernán Larraín, der in den 1990er Jahren Pinochet und die Kinderschänder-Sekte Colonia Dignidad öffentlich verteidigte, hat bereits angekündigt, dass Punta Peuco "natürlich geöffnet" bleibt.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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