CDU:Ein Quäntchen Lob

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Die Delegierten des Parteitags hat Angela Merkel für ihren Asylkurs gewinnen können. Doch hat die CDU-Chefin auch ihre Basis überzeugt?

Von BErnd Kastner, Kristiana Ludwig und Cornelius Pollmer, Dresden/Düsseldorf/München

Das Klatschen war vielen wie süßer Glockenklang. In Karlsruhe applaudierten die Delegierten des CDU-Parteitags am vergangenen Montag den Weihnachtsfrieden herbei. Bundeskanzlerin Angela Merkel, lautete die Botschaft, erobert mit ihrer Rede zur Asylpolitik die Partei zurück. Geklatscht hat auch Wolfgang Bosbach, Bundestags-Abgeordneter aus dem Rheinland. Bosbach, der Merkel-Kritiker aus Funk und Fernsehen? Sein Applaus brachte ihm den Anruf eines Mannes ein, der ihn auf dem Bildschirm gesehen hatte. Bis zu diesem Moment, sagte der Mann, habe er eine hohe Meinung von Bosbach gehabt - nun aber sei klar, dass er in Wahrheit ein Waschlappen sei, wie alle anderen Abgeordneten auch. "Dieser Mann", sagt Bosbach, "ist offensichtlich der Meinung, wenn der Herr Bosbach in Karlsruhe richtig Ärger gemacht und sich mit der Kanzlerin angelegt hätte, dann hätte Angela Merkel ihre Flüchtlingspolitik sicher sofort revidiert. Was soll ich dazu sagen?"

Bosbach erinnert an den Parteitag des Koalitionspartners SPD, dem es "tatsächlich gelungen ist, den eigenen Vorsitzenden deutlich zu beschädigen". Auch vor diesem Hintergrund müsse man den Verlauf in Karlsruhe betrachten. Die CDU habe zeigen wollen, "dass man auch Parteitage abhalten kann, bei denen die Führung gestärkt wird. Die Delegierten wissen genau, was von ihnen erwartet wird." Wenn schon ein Mitklatscher den Jubel so relativiert - wie soll er dann an der Basis der Kanzlerinnenpartei wirken? Hört man sich ein paar Tage nach ihrer Rede um, spürt man weiter die Lust an der Diskussion. Und enorme Skepsis. Sie scheint größer zu werden, je näher man der echten Basis kommt.

Naiv, ungeschickt, weltfremd - die Botschaft an die Kanzlerin ist nicht immer positiv

Martin Henkel ist Bürgermeister von Geisa, einem Städtchen in Thüringen am ehemaligen deutsch-deutschen Grenzzaun, Hessen und Bayern sind nah. "Ich bin, ehrlich gesagt, enttäuscht." Noch immer vermisse er ein "klares Signal" aus Deutschland, an die Flüchtlinge, an die EU, an die Welt. Halt! Stopp! Das müsste die Botschaft sein, so denke sein ganzes Umfeld in der CDU: "Da teilt man die Euphorie des Parteitages nicht." In Geisa selbst leben 2000 Menschen - aber keine Flüchtlinge, und in den Ortsteilen seien es auch gerade mal 40. Diese Zahl, räumt Henkel ein, sei kein Problem, aber ins kollektive Ortsgedächtnis hätten sich die Neunzigerjahre eingebrannt, als mehr als 400 Asylsuchende in Geisa einquartiert gewesen seien. Deshalb seien jetzt alle so sensibel. Und deshalb schauten viele CDU-Mitglieder neidisch nach Bayern, dem gelobten Land der - zumindest geforderten - Obergrenze: "Ein Großteil der Mitglieder ist näher bei der CSU und Seehofer als bei Merkel."

Selfie mit Flüchtling: Von der Willkommensgeste der Kanzlerin, aufgenommen im September in Berlin, halten manche CDU-Mitglieder gar nichts. Sie wollen von ihr ein Stopp-Signal sehen. (Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa)

Es könnte eine Weile dauern, ehe die Glockenklänge des Parteitags die gesamte Partei befrieden. Wenn überhaupt. Wie wirkt der gefeierte Leitantrag, der eine spürbare Reduzierung der Flüchtlingszahlen vorsieht? "Das ist, wie wenn ich beschließe, dass morgen schönes Wetter wird." Ingo Großkinsky sagt das, Rechtsanwalt von Beruf und Vorsitzender der CDU-Fraktion in Hardheim. Das liegt auf baden-württembergischem Territorium, auch ganz nah an Bayern und Hessen, wie Geisa. Bloß, dass in dem 4600-Einwohner-Ort nun 1000 Flüchtlinge leben. "Ich trage das so nicht mehr mit!", sagt, nein, ruft Großkinsky durchs Telefon: "Wir sind am Limit!" Er meint das ganze Land. "Diese Menge überfordert uns!" So viele Ausrufezeichen er spricht, so ratlos ist er aber auch: Nein, eine Lösung habe er auch nicht parat, Zäune seien ja keine. Aber egal, sein Urteil steht: "Das ist nicht mehr meine Partei." Wenn es doch bloß eine echte Alternative zur CDU gäbe, er würde austreten.

Solche krassen Worte spiegeln zwar kein repräsentatives Bild, lassen aber das Befinden unten in der CDU-Hierarchie erahnen. Wie die Republik ist auch diese Volkspartei weiter gespalten in der Asylfrage. "Ich bin nach wie vor skeptisch", sagt Sebastian Schugar, Vizechef der CDU im Frankfurter Stadtteil Fechenheim, wo in diesen Tagen eine Erstaufnahmeeinrichtung für viele Hundert Flüchtlinge aufmacht. Was manche seiner Parteikollegen sagen, "das kann ich gar nicht wiedergeben", zu heftig. Dann versucht er es selbst mit einer asylpolitischen Charakterisierung der Kanzlerin: "Naiv." Nein, das sei zu drastisch. "Ungeschickt." Auch nicht, eher "ein bisschen weltfremd." Oder, diplomatischer: "Etwas zu weit von der Basis entfernt im Berliner Elfenbeinturm." Die Botschaft ist immer dieselbe: Die Basis sei keineswegs überzeugt von ihrem Asyl-Kurs.

Im Oktober hatte Merkel Post von dieser Basis bekommen. Dutzende Mandatsträger und Funktionäre hatten den Brief unterschrieben: Wir sind in großer Sorge, wenn es so weitergeht mit den Hunderttausenden Flüchtlingen. Johannes Hanisch hat ihn auch unterzeichnet, er ist CDU-Fraktionsvorsitzender im hessischen Weilburg. Die Merkel-Rede hat er online verfolgt und war sehr angetan. Er ist zufrieden, zumindest vorläufig. Immerhin seien Forderungen aus dem Brief in den Leitantrag eingeflossen: "Jetzt geht es in die richtige Richtung." Die Partei habe sich positioniert, und das sei einfach gut: "Wir wissen jetzt, wie wir es schaffen können."

Wirklich? Ein anderer Brieffreund der Kanzlerin will eigentlich nichts mehr sagen, sagt dann aber doch: "Die Wirklichkeit ist noch nie auf Parteitagen bestimmt worden." Bei Karl Schneider, Landrat des Hochsauerlandkreises, hat Merkel persönlich angerufen, nachdem sie seine kritischen Zeilen gelesen hatte. Jetzt betont Schneider, dass er und seine Kommunalkollegen "Praktiker vor Ort" und ganz nah dran seien. Was unausgesprochen heißt: Berlin kriegt vieles nicht mit.

Wenn dieser Tage gewisse Ruhe in der CDU einkehrt, dürfte das auch an den aktuellen Zahlen liegen: Deutlich weniger Flüchtlinge als noch im November erreichen Deutschland. Sind das schon die ersten Wirkungen einer neuen, auf Abwehr gepolten Asylpolitik? Oder liegt es schlicht am Wetter? Am Parteitag jedenfalls nicht, glaubt man Wolfgang Bosbach, der irgendwo zwischen Berliner Macht und rheinischer Basis zu verorten ist. Es sei eine "schlichte Tatsache, dass alleine durch einen Beschluss des Parteitages Probleme nicht gelöst werden können. Die objektive Lage ist genauso, wie sie vorher war." Zwar enthalte der Leitantrag nach hartem Ringen letztlich mehr Realismus: "Dessen ungeachtet wundere ich mich nach wie vor darüber, wie schnell die CDU ihr traditionelles Ziel der Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung aufgegeben hat."

Begrenzung. Dieses Wort treibt die CDU um. Michael Kretschmer, Generalsekretär in Sachsen, freut sich, dass seine Partei das Diskutieren lieben gelernt hat: "Ich würde nichts von der politischen Tagesordnung nehmen oder ausschließen - weder Änderungen des Grundgesetzes noch stärkere Maßnahmen an der deutschen Grenze."

Auch Markus Lewe, Oberbürgermeister von Münster, denkt an Grenzen. "Heilfroh" sei er, dass Merkel volles Vertrauen gefunden habe. Das aber reicht ihm nicht: "Leider ist nur zweierlei absehbar. Erstens kommen anhaltend viele Menschen, und zweitens sind die Aufnahmekapazitäten weitgehend erschöpft. Selbstverständlich sind Menschlichkeit und Barmherzigkeit grenzenlos. Aber jeder Raum ist begrenzt." Bis heute, kritisiert Lewe, gebe es keine ausreichende organisatorische und finanzielle Entlastung durch Land und Bund.

Der Oberbürgermeister erwartet mehr Engagement - für die Flüchtlinge

Berlin, sagt auch sein OB-Kollege aus Schwäbisch Gmünd, tue noch viel zu wenig. Richard Arnold ist unverdächtig der notorischen Nörgelei, er hat sich schon vor Wochen offensiv auf die Seite Merkels gestellt. Er lobt sie und ist froh, dass Karlsruhe die Partei befriedet hat. Aber zufrieden ist er längst nicht: "Jetzt muss der nächste Schritt folgen." Die Erstunterbringung werde man schon hinkriegen, auch wenn nächstes Jahr genauso viele Flüchtlinge kommen. Aber dann gehe es um ihre Aufnahme in die Gesellschaft, und für diese große Aufgabe komme ihm von oben, von Bund und Land, viel zu wenig. "Darüber spricht niemand", das bereite ihm Bauchweh. Nur miteinander könnten die staatlichen Ebenen dies meistern. Und dann geht Arnold noch weiter, wünscht sich einen "Spurwechsel": Man solle Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern nicht pauschal abschieben, sondern individuell prüfen, ob nicht ihre Arbeitskraft, ihr Können in Deutschland gebraucht werden. Und wenn ja, sie dann von der Asyl- auf die Einwanderungsschiene umleiten. Also nachdenken über die Integration und das Abschieben. Arnold hat die Glocken aus Karlsruhe auch gehört, aber sie beruhigen ihn nicht: "Wir haben keine Weihnachtsruhe. Das wäre die Ruhe vor dem Sturm."

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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