CDU:Brandbrief an Merkel

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34 CDU-Funktionäre werfen der Kanzlerin vor, dass ihre Flüchtlingspolitik weder deutschem Recht entspreche, noch im Einklang mit dem Programm der Partei stehe.

Von Robert Roßmann, Berlin

Es sind Töne, die Angela Merkel schon lange nicht mehr aus ihrer Partei hören musste. Wenn die Kanzlerin in den vergangenen Jahren bei CDU-Veranstaltungen auftrat, konnte sie sich sicher sein, wie ein Popstar verehrt zu werden. Mitglieder wedelten mit "Angie"-Plakaten und bettelten um Selfies. Sogar die CSU hatte sich unterworfen. Nicht einmal die Griechenland-Rettung konnte der Beliebtheit der Kanzlerin ernsthaft schaden. Doch mit dieser Unantastbarkeit ist es jetzt vorbei.

Die Flüchtlingspolitik entzweit Merkel und große Teile ihrer Partei. Immer mehr Mitglieder beklagen den Kurs der Kanzlerin in drastischen Worten. Symptomatisch für diese Entfremdung ist ein Brief von 34 CDU-Funktionären an Merkel. Unter den Autoren sind immerhin 16 Landtagsabgeordnete und mehrere Bürgermeister. "Wir wenden uns an Sie mit großer Sorge um die Zukunft unseres Landes", schreiben die Funktionäre. Die Aufnahmekapazität Deutschlands für Flüchtlinge sei "bis an die Grenzen gespannt und an manchen Orten bereits erschöpft". Die "gegenwärtige Situation der faktisch offenen Grenzen" stelle nicht nur die Souveränität Deutschlands infrage. Eine Fortsetzung des "ungebremsten Zuzugs" gefährde auch den inneren Frieden. Quasi als Conclusio schreiben die Funktionäre: "Die gegenwärtig praktizierte Politik der offenen Grenzen entspricht weder dem europäischen oder deutschen Recht, noch steht sie im Einklang mit dem Programm der CDU." Ein Großteil der Mitglieder und Wähler der Union fühle "sich daher von der gegenwärtigen Linie der CDU-geführten Bundesregierung in der Flüchtlingspolitik nicht mehr vertreten".

Retterin Merkel: Viele Flüchtlinge verehren die Bundeskanzlerin. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Merkel ist in der Defensive, aber sie hat auch prominente Unterstützer

Deutlicher können CDU-Abgeordnete ihre Kanzlerin wohl nicht kritisieren. Dass es sich bei den Autoren um keine vernachlässigbare Minderheit handelt, belegen die Reaktionen auf das Schreiben. So erklärt Schleswig-Holsteins CDU-Chef Ingbert Liebing, der Brief zeige "die Dramatik der Flüchtlingskrise" und die "Stimmungslage in der CDU". In den Meinungsumfragen kommt Merkel wegen ihrer hervorragenden Ausgangslage zwar immer noch auf akzeptable Werte. Doch die Richtung geht eindeutig bergab. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend konnte CSU-Chef Horst Seehofer bei der Beliebtheitsfrage auf einen Schlag 20 Prozentpunkte auf Merkel aufholen. Auch die Werte der AfD steigen.

Die CDU-Chefin weiß, dass sie in die Defensive geraten ist. Am Sonntag warb sie deshalb in einem Deutschlandfunk-Interview für ihre Position, am Mittwochabend ging sie in die Talkshow von Anne Will.

Doch überzeugt hat die Kanzlerin ihre Partei bisher noch nicht. An diesem Donnerstag muss sich Merkel zum ersten Mal seit der Zuspitzung der Flüchtlingskrise der Basis stellen. In der historischen Stadthalle von Wuppertal findet die erste von vier "Zukunftskonferenzen" der Bundes-CDU statt. Zu dem Treffen haben sich mehr als 800 Parteimitglieder angemeldet. Eigentlich soll bei diesen Zukunftskonferenzen über die Reform des CDU-Programms und eine Modernisierung der Parteistruktur gesprochen werden. Vier Kommissionen unter Leitung der stellvertretenden CDU-Chefs Julia Klöckner, Armin Laschet und Thomas Strobl sowie des Generalsekretärs Peter Tauber hatten darüber monatelang beraten. Die Ergebnisse sollen auf dem Bundesparteitag Mitte Dezember verabschiedet werden. Die Zukunftskonferenzen sollten so etwas wie ein werbliches Vorprogramm für diesen Parteitag werden. Doch das dürfte jetzt anders kommen.

Die Schlange vor dem LaGeSo am 7. Oktober. (Foto: Fabrizio Bensch/REUTERS)

Auf der Tagesordnung für die Wuppertaler Konferenz steht zwar immer noch eine Diskussion der vier Kommissionschefs Tauber, Klöckner, Laschet und Strobl über das CDU-Programm. Anschließend soll Merkel dazu reden. Doch sogar im Konrad-Adenauer-Haus gehen sie davon aus, dass die Programm-Debatte kaum einen Teilnehmer interessieren dürfte. In der CDU-Zentrale rechnen sie damit, dass es in der Aussprache vor allem um die Flüchtlinge gehen wird.

Die Parteispitze hofft aber, dass die Debatte so konstruktiv verläuft wie ein "digitales Fachgespräch" zur Flüchtlingspolitik, zu dem Generalsekretär Tauber und Staatsminister Helge Braun vor wenigen Tagen geladen hatten. An der Video-Konferenz nahmen mehr als 500 CDU-Mitglieder teil. Viele von ihnen äußerten zwar deutlich ihre Sorgen und Forderungen. Aber die Debatte blieb frei von Pegida-Tönen und verlief weitgehend konstruktiv. Am Ende gestand jedoch auch Staatsminister Braun ein, dass die Stimmung "angespannt" sei.

Um so wichtiger sind für Merkel derzeit prominente Unterstützer aus der CDU. In der vergangenen Woche hatten bereits Finanzminister Wolfgang Schäuble und Bundestagspräsident Norbert Lammert die Kanzlerin verteidigt. Am Mittwoch sprang ihr auch Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier bei. Merkel genieße das uneingeschränkte Vertrauen nicht nur der Union, sondern auch der Bürger, behauptete Bouffier. Dann kanzelte er auch noch die Autoren des Brandbriefs ab: Er sehe "keinen Sinn darin, sich wechselseitig Vorwürfe zu machen, schon gar nicht öffentlich".

© SZ vom 08.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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