Bundeswehr:"Im roten Bereich"

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Flüchtlingshilfe, Einsätze in Afghanistan und jetzt in Syrien: Die Bundeswehr ist stark beschäftigt. Der Bundeswehrverband hält die Truppe für überfordert. Die Rufe nach mehr Soldaten werden lauter.

Und noch ein Bundeswehreinsatz: Deutsche Soldaten sollen demnächst in Awacs-Aufklärungsflugzeugen den Luftraum über der Türkei überwachen und dem Nato-Partner Sicherheit geben. Von Januar an sollen sich auch deutsche Tornado-Aufklärungsflugzeuge am Einsatz gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien und im Irak beteiligen. Etwa zur gleichen Zeit will das Kabinett die Beteiligung an der UN-Friedensmission in Mali mit 650 Soldaten beschließen. Der Ausbildungseinsatz in Afghanistan wurde bereits kurz vor Weihnachten aufgestockt. Auch im Irak ist eine Vergrößerung der Bundeswehrtruppe geplant.

Was denn noch alles? Das fragen sich jetzt der Wehrbeauftragte des Bundestags und der Bundeswehrverband im Chor. "Das alles, was wir machen sollen, das geht mit dem jetzigen Personal und Material so nicht mehr weiter", sagt André Wüstner, Chef der Soldatengewerkschaft. Er verlangt 5000 bis 10 000 zusätzliche Soldaten. "Wir sind absolut im roten Bereich", verdeutlichte Wüstner. Auch der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels, der sich als Anwalt der Soldaten versteht, sieht die Bundeswehr "personell im freien Fall" und fordert eine Trendwende.

Nach einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov unterstützt eine Mehrheit der Deutschen solche Forderungen: 56 Prozent sind für eine Truppenaufstockung, nur 30 Prozent dagegen. Das Verteidigungsministerium prüft derzeit den Personalbedarf, die Ergebnisse dürften spätestens im Frühjahr vorliegen. Von den fast 600 000 Soldaten unmittelbar nach der Wiedervereinigung sind heute nur noch 178 000 übrig. Bartels (SPD) fordert: "Es kann nicht weiter zurückgehen, es muss hoch", sagt er. Nach den Vorstellungen des Wehrbeauftragten des Bundestags müssen mindestens wieder die 185 000 Soldaten erreicht werden, welche die 2010 eingeleitete Bundeswehrreform vorsieht. "Aber warum nicht auch 187 000 oder sogar mehr? Man muss die Zahl erreichen, die nach den Strukturen, die ausgeplant sind, wirklich gebraucht wird."

Wüstner geht davon aus, dass derzeit etwa 20 000 Soldaten in Einsätzen sind oder einsatzähnliche Aufgaben übernehmen. Ein großer Teil - circa 7000 Soldaten - ist für die Flüchtlingshilfe abgestellt. Wüstner fordert, diese Unterstützung der zuständigen Behörden nächstes Jahr zu beenden. "Es ist nicht unsere Kernkompetenz und auch nicht unsere Kernaufgabe", sagte er im Deutschlandfunk. Bis zu 9000 Soldaten am Tag fehlten so für den Grundbetrieb der Bundeswehr und Einsätze.

Vor einer weiteren alarmistischen Debatte warnt der Verteidigungsexperte der SPD, Rainer Arnold. Im Gespräche mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dem mehr als 30 Tageszeitungen angehören, sagte Arnold, "entscheidend ist, dass die Soldaten sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren". Beispielsweise müsse Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) dafür sorgen, dass die Flüchtlingshilfe "keine Dauereinrichtung" werde. Als größte Hypothek erweise sich die von Ex-Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) durchgesetzte Parole, bei der Bundeswehr müsse "Breite vor Tiefe" gelten. "Dieser Ansatz ist sichtbar gescheitert, das Ergebnis ist überall Mittelmaß, und in allen Arsenalen fehlt es an Gerät."

© SZ vom 28.12.2015 / dpa, SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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