Bundeswehr:Die Konsens-Kommission

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Eine Expertengruppe hat die Rolle des Bundestags bei der Entscheidung über Bundeswehr-Einsätze geprüft. Das Ergebnis ist der kleinste gemeinsame Koalitions-Nenner.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Volker Rühe war ziemlich zufrieden mit sich und der Welt. "Sie sehen", sagte der ehemalige CDU-Verteidigungsminister, "dass mit unserem Vorschlag eine wirkliche Veränderung der Realität eintreten wird." Nach der Sommerpause werde ein Gesetzgebungsverfahren eingeleitet.

Wozu? Um das Parlamentsbeteiligungsgesetz zu überarbeiten, also die Beteiligung des Bundestags an der Entscheidung über Auslandseinsätze der Bundeswehr. Im März 2014 hatte der Bundestag dazu eine Kommission unter Rühes Vorsitz eingerichtet, seither hatte diese sich der Frage gewidmet, ob und wie die deutsche Parlamentsbeteiligung angesichts zunehmender internationaler Kooperationen und Verflechtungen in Militärbündnissen zu überarbeiten sei. Am Dienstag stellte Rühe mit seinem Stellvertreter, dem ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten und Verteidigungspolitiker Walter Kolbow, die Ergebnisse vor. Über diese hatte die Süddeutsche Zeitung bereits vor längerer Zeit berichtet.

Ein Beispiel für internationale Verflechtungen sind die Awacs-Aufklärungsflugzeuge der Nato, in denen die Deutschen ein Drittel der Besatzungen stellen, weshalb es für das Bündnis ein Problem ist, wenn sie ausscheren - was bereits vorgekommen ist. International gibt es daher seit Längerem die Kritik, dass der hierzulande besonders stark ausgeprägte Parlamentsvorbehalt die Deutschen zu unflexibel mache. In der Union hatte es vor diesem Hintergrund die Forderung gegeben, den Einsatz deutscher Soldaten in internationalen Verbänden mit sogenannten Vorratsbeschlüssen zu sichern und dem Bundestag für diese Fälle lediglich ein Rückholrecht einzuräumen. Über solche Fragen war es in den Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD zum Konflikt gekommen - woraufhin die Diskussion in die Kommission ausgelagert wurde, in der unter dem Vorsitz Rühes und Kolbows Parlamentarier von Union und SPD, Wissenschaftler sowie zwei ehemalige Generäle saßen. Grüne und Linke hatten eine Beteiligung abgelehnt.

Das Parlament soll auch besser über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte informiert werden

Herausgekommen ist ein Vorschlag zur Überarbeitung des Gesetzes, der keinerlei Vorratsbeschlüsse enthält, sondern lediglich Dinge, auf die Union und SPD sich einigen konnten. So soll die Regierung nach dem Willen der Kommission dem Bundestag einmal im Jahr einen "Bericht über die bestehenden militärischen Verbundfähigkeiten" vorlegen, "deren Verfügbarkeit politisch gesichert werden soll". Darin solle sie die damit verbundenen "Abhängigkeiten" darstellen, ebenso wie die möglichen Folgen für den Fall, dass sich Deutschland an einem Einsatz nicht beteiligt.

Außerdem soll der Bundestag künftig besser über Einsätze des geheim operierenden Kommandos Spezialkräfte (KSK) informiert werden. Darüber hinaus will die Kommission im Gesetz festschreiben lassen, dass etwa Ausbildungsmissionen auch ohne Mandat möglich sein sollen - zumindest wenn Waffen nur zur Selbstverteidigung oder für die Ausbildung mitgeführt werden. Außerdem heißt es im Formulierungsvorschlag für eine Änderung des Gesetzes, dass eine Zustimmung des Bundestags nicht notwendig sei, wenn deutsche Soldaten in internationalen Hauptquartieren oder Stäben eingesetzt seien, sich dabei aber nicht in einem Kriegsgebiet befänden oder Waffen bedienten.

Rühe lobte den Vorschlag als geglückten Versuch der Konsensfindung. Für ihn sei es eine "große Genugtuung", wenn sich für die Vorschläge eine breite Mehrheit im Bundestag organisieren lasse. Kolbow befand, es sei gelungen, "die Rechte des Bundestags zu sichern und zugleich die Bündnisfähigkeit zu stärken". Und der CDU-Abgeordnete Roderich Kiesewetter sagte: "Ich finde, wir haben einen guten Kompromiss erzielt. Indem das Parlament sich einmal im Jahr mit unseren internationalen Verpflichtungen befassen soll, wird auch das Verständnis dafür wachsen, welche Verantwortung wir mittlerweile tragen." Lediglich die Grünen warnten davor, die "Mandatspflicht bei Konflikteinsätzen" zu verwässern - lobten aber andere Aspekte.

Bei so viel Zufriedenheit sollte man sich kurz erinnern, dass es Kiesewetter gewesen war, der mit dem im Dezember gestorbenen CDU-Außenpolitiker Andreas Schockenhoff die Debatte über Vorratsbeschlüsse befeuert hatte: Was deutsche Soldaten in "integrierten Streitkräften" betrifft, hatten sie den Begriff des "Rückholrechts" ins Spiel gebracht - als "Zeichen der Vertrauensbildung gegenüber unseren Partnern".

Freimütiger äußerte sich am Dienstag ein anderes Mitglied der Kommission, der Politikwissenschaftler James W. Davis. "Ich glaube, wir waren zu wenig ambitioniert, und die Erklärung dafür liegt wahrscheinlich in der großen Koalition. Man war dadurch von Anfang an eingeschränkt, weil man aus dieser Kommission keine strittige Veranstaltung innerhalb der Koalition machen wollte", sagte der Professor an der Universität St. Gallen . "Der Vorsitzende und eine Mehrheit der Kommission haben sehr stark die innenpolitische Diskussion in den Vordergrund gestellt. Ich hätte mir gewünscht, dass wir stärker den Blick in die Zukunft gerichtet hätten."

Es gehe "um die Zukunft Europas und nicht um die Vergangenheit des deutschen Parlamentarismus", sagte der US-amerikanische Wissenschaftler der SZ. Der Bericht der Kommission sei "hoffentlich ein erster Schritt in Richtung einer breiteren Debatte" - man habe aber keine Zukunftsvision entwickelt. "Man muss ja nicht gleich Vorratsbeschlüsse fordern. Aber eine Debatte im Bundestag ohne weitere Konsequenzen ist überflüssig", sagte Davis. Er frage sich, "ob die Verbündeten wirklich mehr Vertrauen in Deutschland haben werden, wenn alles Wesentliche, was bei dieser Kommission herauskommt, eine weitere Bundestagsdebatte ist".

© SZ vom 17.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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