Bundesverfassungsgericht:Bedrückendes Familienverhältnis

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Wann dürfen Jugendämter Kinder von Vater und Mutter trennen? Manchen Gerichten reicht es schon, dass die Erziehung nicht optimal abläuft. Die Karlsruher Richter stärken nun die Rechte der Eltern.

Von WOLFGANG JANISCH, Karlsruhe

Manchmal ist das Bundesverfassungsgericht nur ein geduldiger Erzieher unterer Gerichtsinstanzen. In diesen Tagen hat eine Kammer des Ersten Senats einen Beschluss zum elterlichen Sorgerecht veröffentlicht, in dem steht: Kinder dürfen von ihren Eltern getrennt werden, aber nur, um sie vor "nachhaltigen Gefährdungen" zu schützen. Sie dürfen nicht aus der Familie herausgenommen werden, weil Richter oder Psychologen die Eltern für irgendwie suboptimal halten. Das ist nicht neu, mit ähnlicher Begründung hat das Gericht allein im Frühjahr und Sommer 2014 sieben Mal den Klagen von Eltern gegen Entzug des Sorgerechts stattgegeben. Nur hat sich das noch nicht bei allen Familiengerichten herumgesprochen.

In dem Fall ging es um eine Familie mit schwieriger Vorgeschichte. Der Vater der beiden Kinder - 2003 und 2008 geboren - war gewalttätig geworden, bis ihm behördlich die Annäherung an die Familie untersagt wurde. Im Jahr 2014 entzog die Justiz in Sachsen-Anhalt der Mutter das Sorgerecht, die Kinder kamen in ein heilpädagogisch-therapeutisches Jugendhaus. Das war als vorübergehende Maßnahme gedacht, die Mutter trug das mit. Doch kein Jahr später wollte sie die Kinder zurück: Sie lebe nun in stabilen Verhältnissen in einer liebevollen Beziehung.

Gutachter plädierten dafür, der Mutter das Sorgerecht weiter zu entziehen

Im anschließenden Familiengerichtsprozess zeichnete eine Gutachterin indes ein skeptisches Bild. Die "mütterlichen Basiskompetenzen" der Frau reichten derzeit nicht aus, um dem "äußerst komplexen Störungsbild" der Kinder zu begegnen. Von "hochambivalenter Bindungsqualität" war die Rede und davon, dass den Kindern dringend Medienabstinenz zu empfehlen sei. Und Spiel in freier Natur, haptisches Erleben durch Gestaltungstherapie, solche Dinge. Kurzum, man solle der Mutter das Sorgerecht weiterhin vorenthalten, das sei ein "störungsmildernder Faktor".

Amtsgericht und Oberlandesgericht schlossen sich der Gutachterin an, doch das Verfassungsgericht hat die Entscheidungen nun einkassiert. Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stelle den "stärksten Eingriff in das Elterngrundrecht" dar und sei nur unter strengen Voraussetzungen zulässig. Nicht jedes elterliche Versagen erlaube es dem Staat, in Ausübung seines "Wächteramtes" an die Stelle der Eltern zu treten. "Es gehört nicht zur Ausübung des Wächteramts, gegen den Willen der Eltern für eine bestmögliche Förderung der Fähigkeiten des Kindes zu sorgen." Die Gutachterin habe sich an einem "Idealbild einer elterlichen Erziehungsleistung" orientiert, nicht an einer möglichen Gefahr für die Kinder.

Das Elternrecht, soll das heißen, steht eben nicht nur pädagogisch besonders geeigneten Personen zu. Der Staat darf dieses Recht nur entziehen, wenn wirklich Gefahr droht - dann muss er sogar eingreifen. Der Karlsruher Beschluss indes illustriert, wie Jugendämter, Gerichte und Gutachter sich angesichts der manchmal sehr bedrückenden Familienverhältnisse, mit denen sie konfrontiert sind, zum Eingreifen gedrängt sehen. Das Bundesverfassungsgericht dagegen sagt: Das Wohl des Kindes liegt in den Händen der Eltern - der Staat steht in der zweiten Reihe.

Übrigens hatte das Amtsgericht im konkreten Fall auch die Kinder nach ihrer Meinung gefragt. Beide wollten zurück zur Mutter, und zwar möglichst schnell.

© SZ vom 02.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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