Bundestagswahl:Wählen, und dann mal sehen

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Wer für die CSU stimmt, bekommt eine CDU-Kanzlerin? Wer für die Grünen stimmt, bekommt ein Bündnis unter Führung der SPD? Vielleicht. 2017 ist vieles anders als früher.

Von Detlef Esslinger

Fast jeder, der früher für die FDP stimmte, sprach sich damit zugleich für Schwarz-Gelb aus. Wer die Grünen wählte, drückte seine Präferenz für Rot-Grün aus. Und wer für die CSU votierte, war damit selbstverständlich für den CDU-Kanzler oder die CDU-Kanzlerin; schon die Erkundigung, ob auch etwas anderes in Betracht komme, hätte jeder als extrem albern empfunden. Bei dieser Bundestagswahl wird vieles anders sein.

Keine Partei geht mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf, weder mit einer gesprochenen noch mit einer unausgesprochenen. Die SPD kämpft nicht für Rot-Grün; es wäre ja auch absurd, angesichts all der Umfragen. Nach der Ausrufung von Martin Schulz ist sie schon froh, dass sich das Wort "SPD-Kanzlerkandidat" nicht mehr von vornherein so seltsam anhört wie "Deutscher Meister HSV". Die SPD-Schwäche ist es auch, die den Grünen einen an diesen Roten orientierten Wahlkampf verbietet - eine Partei, die sich gleich jeder realistischen Machtperspektive beraubt, verliert grundsätzlich an Attraktivität. Die FDP wiederum darf derzeit nur über die Fünf-Prozent-Hürde kommen wollen. Jede Koalitionsaussage würde als Anmaßung, als Postengeilheit gewertet. Sie würde sich damit den Rest geben.

Wer für die CSU stimmt, bekommt eine CDU-Kanzlerin? Vielleicht

Was heißt das für Wahlkämpfer und Wähler? Für Erstere heißt es, am 24. September so stark werden zu müssen wie möglich - und flexibel bleiben zu dürfen. Früher hätten die meisten FDP-Wähler es ihrer Partei nicht verziehen, hätte sie eine Koalition unter SPD-Führung auch nur erwogen. Ebenso indiskutabel erschien den meisten Wählern von CDU, CSU und Grünen ein schwarz-grünes Bündnis. Diesmal aber stellen alle in Rechnung, dass es wohl nur für ein lagerübergreifendes Bündnis reichen wird - mit der zusätzlichen Komplikation, dass die SPD sich vier weitere Jahre Schwarz-Rot ersparen will.

Ein Klischee lautet, dass Politiker vor einer Wahl immer viele Versprechen machten, von denen sie aber danach nichts mehr wissen wollten. Es ist schon deshalb unpräzise, weil es verkennt, dass die hundertprozentige Umsetzung eines Wahlprogramms allenfalls dann möglich ist, sofern eine Fraktion die absolute Mehrheit erringt. Im Bundestag gab es das einmal, 1957. CDU/CSU kamen auf 277 von 519 Sitzen. Sonst waren Koalitionen erforderlich. Deren Wesen ist, dass man eben nur einen Teil seiner Projekte durchsetzt.

Weil mit einem Einzug der AfD in den Bundestag die üblichen Mehrheitsrechnungen nicht mehr funktionieren, werden die Wähler ihren Parteien Koalitionsgespräche zugestehen müssen, die sie ihnen bisher nur verübelt hätten. Der Rest ist Verhandlungssache. Natürlich, zwischen Union und Linken kann nichts laufen. Natürlich, falls Seehofer seine Obergrenze nicht bekommt, wird er eine Prüfgruppe und eine Umsetzungsgruppe einsetzen, bevor er sich vielleicht doch noch zu Merkel durchringt. Mit der Betonung auf vielleicht. Vorerst wählt man bloß noch eine Partei. Welches Bündnis man danach erhält, kann einem niemand seriös sagen.

© SZ vom 01.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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