Bundestag:Lammerts Appell

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Der Bundestagspräsident verabschiedet sich vom Parlament nicht nur mit versöhnlichen Tönen. Er kritisiert, dass "zu viel geredet und zu wenig debattiert" werde - und beklagt "einen allzu großzügigen Umgang mit der Verfassung".

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat die Abgeordneten anlässlich seines Abschieds aus dem Parlament dazu aufgerufen, die Regierung besser zu kontrollieren. Der Bundestag sei zwar "stärker und einflussreicher" als jedes andere Parlament, sagte Lammert am Dienstag. Aber der Bundestag sei "nicht immer so gut, wie er sein könnte oder auch sein sollte". So sei der Eifer bei der Kontrolle der Regierung mitunter zu wenig ausgeprägt, kritisierte Lammert zum Auftakt der letzten Sitzung des Parlaments vor der Bundestagswahl.

Im Bundestag werde "zu viel geredet und zu wenig debattiert", beklagt Lammert

Die Abgeordneten seien Vertreter des ganzen Volkes, nicht an Weisungen gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen, sagte Lammert, so stehe "es im Grundgesetz - und genau so ist es auch gemeint". Auch bei der Diskussionskultur sieht Lammert Nachholbedarf: Es gebe "zweifellos immer wieder herausragende Debatten, aber bei selbstkritischer Betrachtung sollten wir einräumen, dass immer noch zu viel geredet und zu wenig debattiert wird". So seien wichtige Themen mitunter gar nicht diskutiert worden, während insgesamt eher zu viele Gesetze verabschiedet worden seien.

Lammert sprach sich außerdem für mehr Zurückhaltung bei Änderungen des Grundgesetzes aus. Von der Asylgesetzgebung der Neunzigerjahre über die Föderalismusreform bis hin zum Länderfinanzausgleich habe sich das Parlament "einen allzu großzügigen Umgang mit der Verfassung angewöhnt", klagte der Bundestagspräsident. Die Verfassung sei häufiger und umfangreicher verändert worden, als es ihrem "überragenden Rang" entspreche. Lammert appellierte an den nächsten Bundestag, den Konsens gegen "Fanatiker und Fundamentalisten" zu wahren.

Den Wählern riet der Bundestagspräsident, das "Königsrecht aller Demokraten, in regelmäßigen Abständen selber entscheiden zu können, von wem sie regiert werden wollen", ernst zu nehmen. Im Bundestag schlage "das Herz der Demokratie oder es schlägt nicht". Lammert hob dabei auch die Bedeutung der Minderheitenrechte hervor. Er sagte, eine "vitale Demokratie" sei nicht daran zu erkennen, "dass am Ende die Mehrheit sich durchsetzt, sondern dass auf dem Weg zur Entscheidung Minderheiten ihre Rechte bekommen".

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, Lammert habe in seiner Amtszeit der Regierung "wenn nötig den ihr im Grundgesetz zugewiesenen Platz zugeordnet". Der 68-Jährige gehört dem Bundestag seit 1980 an, seit 2005 ist er dessen Präsident. Bei der Bundestagswahl tritt er nicht noch einmal an.

© SZ vom 06.09.2017 / SZ, AFP - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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