Bundestag:Einsamer Jubilar

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Gerade noch heftig zerstritten, jetzt gemeinsam auf der Regierungsbank: Wie Angela Merkel Horst Seehofer einen unangenehmen Geburtstag beschert.

Von Nico Fried

Bettina Hagedorn ist parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium. Deshalb darf sie auf der Regierungsbank den Minister vertreten, wenn Olaf Scholz mal anderweitig seine Amtsgeschäfte oder sonstige Dinge erledigt. Hagedorn ist 62 und hat drei Söhne. Vielleicht veranlasst sie neben einem höflichen Wesen auch ein Anflug von Mütterlichkeit, ihrem trübsinnig dreinschauenden Nebensitzer ein Bonbon anzubieten. Der Bundesinnenminister nimmt das dankbar an. Horst Seehofer erlebt an diesem Tag im Plenum nicht gerade ein Übermaß an Freundlichkeit.

Was für ein lausiger Geburtstag. 69 wird Seehofer am Mittwoch. Jetzt muss er den ganzen Vormittag auf seinem Platz in der Regierungsbank sitzen, wo er wegen seiner beachtlichen Körpergröße nicht einmal die Beine ordentlich unter dem Tisch verstauen kann. Kollegen kommen hie und da vorbei und gratulieren, auch Angela Merkel hat ihn kurz begrüßt. Anschließend ist sie zu ihrem Kanzlerstuhl gegangen und hat sich einfach reinfallen lassen, ganz ohne Hilfe Seehofers, der jüngst gesagt hat, ohne ihn säße Merkel nicht in diesem Sattel der Macht und deshalb wolle er sich von ihr auch nicht rauswerfen lassen.

Haushaltsdebatte im Bundestag. Nach den wochenlangen Streitereien in der Union mit Seehofers Rücktritt vom Rücktritt als absurdem Höhepunkt müssen sich Merkel und ihr Minister der Generalaussprache stellen. Für die Kanzlerin ist das diesmal halb so schlimm. Ihr wird das gewohnte Maß an Kritik zuteil, zwei Rücktrittsforderungen aus der AfD sowie die üblichen Versäumnisanzeigen der anderen Oppositionsredner. Ansonsten kann sie sich gemütlich anhören, wie ihr Innenminister sein Fett abbekommt. Ihr persönliches Bätschi würde Merkel natürlich niemals zur Schau tragen, geschweige denn öffentlich aussprechen. Für Horst Seehofer aber sind es keine angenehmen Stunden, die er sich ja auch noch höchstselbst eingebrockt hat.

Merkel schenkt dem Minister und CSU-Chef zum Wiegenfeste eine geradezu einzigartig langweilige Rede, gerade so, als wolle sie dem eingezwängten 1,93-Meter-Mann zusätzlich vergällen, dass er ihr jetzt auch noch zuhören muss. Wie in einen rhetorischen Schraubstock quetscht sie zwischen zwei ihrer Lieblingsbegriffe - "Herausforderung" und "Überzeugung" (wahlweise "tiefe" oder "feste") - ein Versatzstück nach dem anderen: zum europäischen Gipfel am vergangenen Wochenende, zu globalen Themen und schließlich zur Digitalisierung. Merkels notorischer "Dann, und dann, und dann ..."-Stil würde sich für jeden Grundschüler versetzungsgefährdend auswirken. Aber es war eben in den vergangenen Tagen wenig Zeit, eine bessere Rede vorzubereiten. Und die Müdigkeit nach all den Nachtsitzungen und Koalitionsausschüssen tut ihr Übriges.

Kanzlerin sein, das heißt für Merkel, so zu tun, als sei fast nichts gewesen

Den jüngsten Zoff findet Merkel keiner ausdrücklichen Erwähnung oder gar einer Entschuldigung bei den Bürgern wert. Kanzlerin sein, das heißt für Merkel in solchen Momenten, so zu tun, als sei fast nichts gewesen. Die Streitereien verbrämt sie als Grundsatzdebatten, die man in einer sich verändernden Welt führen müsse. Das Gezerre zwischen ihr und dem Minister um Zurückweisungen an der Grenze subsumiert sie unter dem Großthema Migration, "das ja auch uns hier zu Hause so in Bann hält". Über die Abkommen mit europäischen Staaten, die jetzt zu verhandeln seien, sagt Merkel: "Der Bundesinnenminister Horst Seehofer wird dafür die Gespräche führen." Wenn man will, kann man es als kleine Warnung verstehen, dass sie hinzufügt: "Ich werde das natürlich auch weiter."

Die Opposition hat ihre Freude dran, den Minister vorzuführen. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel erinnert Seehofer, dass schon seine angedrohte Klage gegen die Flüchtlingspolitik nie beim Verfassungsgericht eingereicht worden sei. Nun habe er erneut "nicht geliefert", so Weidel, weil er mit dem Verzicht auf Abweisungen an der Grenze die von ihm selbst kritisierte "Herrschaft des Unrechts" weiter mittrage.

FDP-Chef Christian Lindner nimmt die von Merkel avisierten Abkommen aufs Korn, bei denen sich reihenweise Probleme offenbarten. Nun müsse diese Abkommen ausgerechnet der Innenminister Seehofer verhandeln. "Im Kanzleramt", so Lindner an die Adresse des Ministers, "biegen sie sich vor Lachen."

Das wiederum greift Dietmar Bartsch gleich auf. Niemand solle sich vor Lachen biegen, sagt der Fraktionschef der Linken. Wegen des Streits in der Union "nehmen wir alle Schaden durch immer mehr Politikerverdrossenheit". Zwischen CDU und CSU gehe es nur "um Macht- und Rechtbehalten". Dem Jubilar sage er im Übrigen voraus, dass er an seinem 70. Geburtstag nicht mehr auf diesem Platz sitzen werde.

Das Gesicht des Innenministers wirkt fahl und erstarrt

Freilich sieht Seehofer an diesem Tag ohnehin so aus, als habe er den Siebzigsten schon länger hinter sich. Sein Gesicht wirkt fahl und erstarrt. Ein Versuch, mit Außenminister Heiko Maas ins Gespräch zu kommen, scheitert genauso bereits im Ansatz wie später mit dessen Vertreterin Michelle Müntefering. Olaf Scholz und Angela Merkel zu Seehofers Linker reden viel untereinander, kichern sogar gelegentlich, aber nur einmal kurz mit ihm. Dreimal nimmt Seehofer in gut zweieinhalb Stunden das Bundestagshandbuch zur Hand und blättert darin herum. Hie und da schaut er auf sein Handy, so auch, als Anton Hofreiter ihn mit Blick auf den Unionsstreit fragt: "Was treiben Sie da eigentlich?" Der Grünen-Fraktionschef sagt, die Regierung löse keine Probleme, sie sei selbst ihr größtes Problem und changiere nur noch "zwischen Koma und Chaos".

Als Merkel am Nachmittag in der Aufzeichnung eines ARD-Interviews gefragt wird, warum sie Seehofer nicht rausschmeiße, erklärt sie noch einmal ihre Sicht auf die Richtlinienkompetenz einer Kanzlerin und sagt schließlich: "Entscheidungsrelevant ist einzig und allein, ob wir gemeinsam innerhalb dieser Richtlinien arbeiten, und das tun wir. Und deshalb ist Horst Seehofer Innenminister." Immerhin gibt sie zu, dass die Auseinandersetzung "diesmal heftig" gewesen sei, "weil das Thema auch sehr emotional ist". Gefragt, wie sie selbst diesen Streit weggesteckt habe, weicht sie gleich wieder ins Politische aus. Den Gefallen, eine persönliche Verletzbarkeit einzugestehen, hat sie Seehofer in drei Jahren Konflikt um die Flüchtlingspolitik noch nie getan.

© SZ vom 05.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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