Bundespräsident:Scheinangriff

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Joachim Gauck redet in Davos über die Begrenzung der Zuwanderung und berechtigte Sorgen der Menschen. Manche werten dies als Angriff auf die Regierungschefin. Doch das stimmt so nicht.

Von Bastian Brinkmann

Das internationale Publikum war erstaunt. Da stand der Präsident der Bundesrepublik Deutschland auf der Bühne - und forderte nachdrücklich, dass sein Land weniger Flüchtlinge aufnehmen müsste. Und erläuterte, warum eine Begrenzung eine gute, ja eine nötige Sache sei. Das alles sagte auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos der Bundespräsident jener Deutschen, die Fernsehsender weltweit klatschend am Bahnhof gezeigt hatten. Und jetzt das: "Gauck attackiert Merkel aus dem Hinterhalt", schrieb der Chefredakteur der britischen Zeitung Financial Times.

Ganz so aber war es nicht. Bundespräsident Joachim Gauck hat lediglich erneut und ausführlich betont, dass die Solidarität der Deutschen mit den Flüchtlingen nicht unendlich groß sei. "Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten", sagte Gauck. Begrenzung helfe, Akzeptanz zu erhalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt eine Obergrenze für Flüchtlinge ab. Auch sie hat aber immer wieder gesagt, dass die Zahl der Flüchtlinge verringert werden müsse. Da sind sie und Gauck sich also einig. Die Bundesregierung habe auf die Sorgen der Menschen gehört, sagte Gauck in Davos. "Man darf prognostizieren, dass Elemente von Begrenzung und Steuerung dieses Jahr greifen - und greifen müssen."

Die Furcht wachse, dass der Staat nicht immer imstande sei, Recht und Ordnung zu wahren

Merkel dringt auf eine europäische Lösung der Flüchtlingsfrage. Auch Gauck wünscht sich mehr Solidarität für das "belastete Deutschland". Der Bundespräsident sieht dabei vor allem die osteuropäischen Länder in der Pflicht. "Ich kann nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte einst selbst Solidarität erfahren haben", sagte Gauck. Die EU stehe "vor der wohl größten Belastungsprobe ihrer Geschichte". Gauck wies zudem darauf hin, dass Zuwanderung Integration brauche. Da habe Deutschland in der Vergangenheit Fehler gemacht. "Nicht alle Zuwanderer haben alle europäischen Grundüberzeugungen übernommen. Das gilt besonders für manche Menschen, die selbst aus muslimischen Ländern stammen", sagte Gauck.

Auch die Übergriffe in Köln sprach der Bundespräsident an. Sie würden zunehmend die Menschen verunsichern. "Die Furcht ist gewachsen, dass grundlegende zivilisatorische Errungenschaften wie Toleranz, Respekt und die Gleichberechtigung der Frau beeinträchtigt werden könnten." Zudem wachse die Furcht, "dass der Staat nicht immer und überall imstande ist, Recht und Ordnung zu wahren". Diese Ängste müssten in der Mitte der Gesellschaft diskutiert werden, sagte Gauck. "Rechtsaußen darf kein Monopol dafür haben, über die Sorgen der Menschen zu sprechen.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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