Bundespräsident in der Kritik:"Ich kann Wulffs Verhalten nicht mehr verstehen"

Die Unterstützung für Christian Wulff schwindet - auch im eigenen Lager. Der Berliner Politologe Oskar Niedermayer rät dem Staatsoberhaupt zum Rücktritt: Wulff habe im Zuge der Affäre seine Glaubwürdigkeit unwiederbringlich verspielt.

Kathrin Haimerl

Fast täglich neue Vorwürfe gegen Christian Wulff - der Druck auf den Bundespräsidenten wächst. An diesem Mittwoch will er nach Angaben seines Amtes eine Erklärung abgeben, der Inhalt ist allerdings noch nicht bekannt. Der Rat des Berliner Politologen Oskar Niedermayer fällt eindeutig aus: Er findet, Wulff sollte zurücktreten. Niedermayer ist Professor für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Schwerpunkte seiner Arbeit sind die Wahl- und Parteienforschung sowie das Verhältnis der Bürger zur Politik.

File photo of German Chancellor Merkel and CDU candidate Wulff waiting to hear the result of the German presidential election at the Reichstag in Berlin

Bild vom 30. Juni 2010: Kanzlerin Merkel und ihr Kandidat Wulff bei der Wahl in der Bundesversammlung.

(Foto: REUTERS)

Süddeutsche.de: Auf die Kreditaffäre folgt die Medienaffäre, fast täglich kommen neue Vorwürfe gegen Bundespräsident Christian Wulff auf. Nun gibt es eine erste Rücktrittsforderung aus dem bürgerlichen Lager. Und heute will er sich äußern. Kann sich Wulff noch halten?

Oskar Niedermayer: Meiner Ansicht nach sollte er zurücktreten. Die Vorwürfe haben sich jetzt so weit aufgetürmt, dass ich keine Möglichkeit mehr sehe, wie er sein Amt noch in der gebotenen Unbefangenheit ausüben könnte. Von außen kann er allerdings nicht zum Rücktritt gezwungen werden, es sei denn, man würde ihm im Verlaufe dieser Affäre juristisch verwertbares Fehlverhalten nachweisen können. Das heißt, es kommt schlicht und einfach auf ihn an, die Konsequenzen aus seinem Verhalten und seinen Äußerungen zu ziehen. Wenn er dazu nicht bereit ist, kann er sich weiter halten.

Süddeutsche.de: Kann Wulff seine Glaubwürdigkeit als Präsident überhaupt wiederherstellen?

Niedermayer: Diese Gelegenheit ist verpasst. Wulff hätte die Rede, die er kurz vor Weihnachten gehalten hat, in der ersten Woche halten müssen, nachdem die Vorwürfe bekannt geworden sind. An Weihnachten war es schon zu spät. Aber selbst dann hätte es noch reichen können, wenn danach nichts mehr gekommen wäre. Denn diese Rede an Weihnachten kann man nur einmal halten. Aber er wusste ja, dass da noch was kommen kann. Zumal, wenn man so unvorsichtig ist und auf einen Anrufbeantworter spricht. Ich kann sein Verhalten nicht mehr verstehen.

Süddeutsche.de: Die Opposition fordert, dass Merkel eingreifen soll.

Niedermayer: Die Opposition weiß, dass dies Unsinn ist. Merkel kann Wulff nicht öffentlich zum Rücktritt auffordern. Die Spitze eines Verfassungsorgans kann nicht der Spitze eines anderen nahelegen, abzutreten. Das politische System der Bundesrepublik ist so ausgestaltet, dass gegenseitige Einflussnahmen unterbleiben sollten. Es wäre genauso wenig opportun, wenn Wulff permanent Kanzlerin Merkel angreifen würde. Das geht einfach nicht.

Süddeutsche.de: Kurz nach Weihnachten warnte SPD-Chef Gabriel noch, dass bei einem Rücktritt Wulffs eine Staatskrise drohe. Wäre es tatsächlich so schlimm, wenn der Bundespräsident abtreten würde?

Niedermayer: Es ist natürlich eine sehr unschöne Geschichte, wenn innerhalb einer Legislaturperiode zwei Bundespräsidenten zurücktreten. Nur: Wulffs Rücktritt wäre nicht der Untergang der Demokratie. Auch die Politikverdrossenheit wird nicht dramatisch zunehmen. Die Bürger urteilen differenzierter, als dies oftmals in den Medien unterstellt wird. Die Bevölkerung hat lange an Wulff festgehalten. Diese Unterstützung schwindet nun. Auch den Rückhalt seiner Partei verliert er - denn man schweigt ja sehr laut. Das heißt, er ist alleine auf weiter Flur. Das kann er sich eigentlich nicht weiter zumuten.

Süddeutsche.de: Warum hat sich die Opposition so lange zurückgehalten?

Niedermayer: In dieser ganzen Phase hat sich die Opposition sehr vernünftig verhalten. Wäre man von Anfang an vorgeprescht, hätte möglicherweise in der Bevölkerung ein Solidarisierungseffekt eingesetzt - nach dem Motto: Das könne man dem armen Mann doch nicht antun, die hacken nur auf ihm rum, nur weil sie mit ihrem eigenen Kandidaten gescheitert sind.

Süddeutsche.de: Was würde auf einen Rücktritt folgen?

Niedermayer: Wenn er selber zurücktritt, dann ist er Herr des Verfahrens. Doch es stellen sich Anschlussfragen. Zum Beispiel: Wo bekommt man auf die Schnelle einen Kandidaten her?

Süddeutsche.de: Gäbe es überhaupt geeignete Kandidaten?

Niedermayer: Es gibt zwei Möglichkeiten der Rekrutierung von Bundespräsidenten: eindeutig parteipolitisch verortete Kandidaten, die man mit der eigenen Mehrheit in der Bundesversammlung durchsetzen kann, oder Bewerber von außen, die eine gewisse Reputation haben. Beides ist in den vergangenen Jahren passiert und beide Verfahren sind gescheitert. Wegen der unsicheren Mehrheit in der Bundesversammlung kommen meiner Ansicht nach aktive Politiker wie Ursula von der Leyen nicht in Frage. Doch auch einen Kandidaten Gauck kann ich mir nicht vorstellen, auch das hätte einen gewissen Geschmack, wenn man jetzt versuchen würde, den unterlegenen Bewerber wieder zu etablieren.

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