Bundesparteitag der Piraten:Am Ende fehlt der Mut

Bundesparteitag Piratenpartei in Neumarkt in der Oberpfalz

Nur vordergründig ruhig: Bei der Frage der Online-Mitbestimmung geriet der Bundesparteitag der Piratenpartei in Turbulenzen.

(Foto: dpa)

Die Piraten - Partei der Online-Demokratie? Nicht ganz. Auf ihrem Parteitag verpasst ein Antrag auf eine Ständige Mitgliederversammlung knapp die nötige Zweidrittelmehrheit. Die Ängstlichen schaffen es so, die Partei zu lähmen.

Eine Analyse von Hannah Beitzer, Neumarkt in der Oberpfalz

Es war einmal eine Partei, die wollte die Demokratie mit Hilfe des Internet verändern. Sie wollten jenen Gedanken der Basisdemokratie, an dem ihre Eltern und Großeltern vor einigen Jahrzehnten scheiterten, wiederbeleben. Schließlich, so argumentierten sie, gebe es dank des digitalen Wandels ganz neue Möglichkeiten, alle Menschen in den politischen Prozess einzubeziehen: Online-Mitbestimmung war das Zauberwort, das die Piraten in den Jahren 2011 und 2012 in vier Länderparlamente spülte.

Deswegen dürfte es den durchschnittlichen Politik-Interessierten durchaus erstaunen, dass ausgerechnet bei der Frage, ob die Partei Online-Parteitage einführen soll, auf ihrem Parteitag in Neumarkt in der Oberpfalz die Fetzen flogen - und der Antrag auf eine ständige Mitgliederversammlung (SMV) im Internet die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit verfehlte.

Dabei hatten die Befürworter die SMV als wichtiges Instrument der Online-Beteiligung gepriesen, sie wollten damit das Versprechen der Mitmachpartei einlösen. Zwei Parteitage im Jahr seien zu wenig, um die Lücken im Programm zu stopfen. Außerdem könnten die Vertreter der Partei - Vorstand, Abgeordnete, Kandidaten - via SMV auch die Meinung der Basis zu plötzlich auftauchenden tagespolitischen Themen abfragen.

Sorge um den Datenschutz

Doch auch die Gegner einer Ständigen Mitgliederversammlung verfügten über gute Argumente: Zum ersten sei Technik manipulierbar. Auch die Tatsache, dass die Online-Abstimmungen nicht komplett anonym erfolgen sollen, sondern zumindest ein Pseudonym nötig ist, behagt verständlicherweise nicht jedem Basismitglied. In der Partei sind zahlreiche überzeugte Datenschützer aktiv.

Die Argumentation einiger SMV-Kritiker aber wirkte geradezu absurd: Mit einer ständigen Mitgliederversammlung via Internet baue man technische Hürden auf, die Offliner von der Beteiligung ausschließe. Wie bitte? Die Internetpartei hat Angst vor den technischen Hürden des Internet?

Sie waren auf dem Parteitag aber eigentlich deutlich in der Minderheit. 64,1 Prozent der anwesenden Piraten stimmten für eine SMV. Doch das reicht nun einmal nicht, um den Online-Parteitag in die Satzung aufzunehmen. Und so lähmt eine Minderheit aus Bedenkenträgern die gesamte Partei.

Und was ist die Alternative? Zähe Parteitage, zu denen die Mitglieder auch noch auf eigene Kosten anreisen müssen, wenn sie mitbestimmen wollen. Besonders stolz sind die Piraten nämlich ausgerechnet darauf, dass sie keine Delegierten haben, dass jeder kommen darf - was im Endeffekt bedeutet, dass nur der mitentscheiden kann, der genügend Geld und Zeit hat, mehrmals im Jahr für ein Wochenende quer durch die Republik zu reisen.

Bekenntnis zu mehr Online-Beteiligung

Immerhin: Die Mehrheit der Piraten hat offenbar erkannt, dass es so nicht weitergehen kann. SMV-Befürworter und Vorstandsmitglied Klaus Peukert betont, dass die SMV noch lange nicht erledigt sei - immerhin wisse man nun, dass die meisten Piraten dafür seien. Auch Parteichef Bernd Schlömer spricht von einem "klaren Bekenntnis" zu mehr Online-Beteiligung.

Dennoch bleibt von diesem Parteitag das schale Gefühl: Die Piraten trauen sich nicht. Das Versprechen, die Demokratie mit digitalen Werkzeugen zu revolutionieren, lösen sie bisher allenfalls zaghaft ein: ein bisschen Online-Chat hier, ein bisschen Twitter da, ein bisschen Antragsdiskussion dort.

Da hilft es auch nichts, dass sie in Neumarkt brav einiges an Programm durchackerten und sogar mit großer Mehrheit und Begeisterung eine Nachfolgerin für den zurückgetretenen politischen Geschäftsführer Johannes Ponader gefunden haben: die Datenschutzaktivistin Katharina Nocun.

Versuchslabor der Demokratie

Die Piratenpartei ist maßgeblich nicht wegen ihrer Meinung zur Außen- oder Wirtschaftspolitik für die Menschen interessant. Und erst recht nicht wegen ihres Führungspersonals. Sondern weil sie eine einmalige Chance bietet: Nämlich die, die Plattform für die politischen Experimente der digitalen Generation zu werden.

Wer, wenn nicht die Nerdpartei par excellence, sollte die technischen Fähigkeiten dafür besitzen? Die Piratenpartei könnte eine Spielwiese sein, ein Versuchslabor der Demokratie. Sie könnte Beteiligungsmöglichkeiten ausprobieren, ordentlich auf die Schnauze fallen, wieder aufstehen und dann: weitermachen.

Die Piraten müssen sich nur trauen. Stattdessen, auch das hat dieser Parteitag gezeigt, beschäftigen sie sich mit Verfahrens-Kleinklein, versuchen sich gegenseitig mit Anträgen und Gegenanträgen ein Schnippchen zu schlagen und drücken sich so um klare Entscheidungen herum.

Die politische Konkurrenz lästert oft, die Piraten seien nichts weiter als eine Linkspartei mit Internetanschluss. Oder auch: die Grünen 2.0. Wenn sie nicht aufpassen, dann wird es bald heißen: Sie sind nicht einmal das.

Mehr über die Argumente von Gegnern und Befürwortern der ständigen Mitgliederversammlung im Internet lesen Sie hier.

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