Bundesgerichtshof:Kita-Urteil: Eltern steht Schadenersatz zu

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Mütter und Väter können Kommunen für den Verdienstausfall haftbar machen, wenn sie wegen fehlender Kitaplätze nicht arbeiten können.

Von W. Janisch, Karlsruhe

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Grundsatzurteil gefällt, das die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtert: Eltern, die wegen eines Mangels an Kitaplätzen ihre Stelle nicht antreten können, haben grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz ihres Verdienstausfalls. Das folgt aus dem Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für Kinder vom ersten Geburtstag an, der seit dem 1. August 2013 gilt. Somit hat die Regelung finanzielle Folgen für Städte und Gemeinden: Eltern können bei lückenhaften Betreuungsangeboten auf Schadenersatz klagen - und die Kommune darf sich nicht auf finanzielle Engpässe herausreden. Vor allem Städte mit wachsender Bevölkerung dürften nun unter Druck geraten, die Versorgung auszubauen.

Der BGH gab am Donnerstag drei Frauen aus Leipzig recht, die jeweils kurz nach der Geburt ihres Kindes Betreuungsbedarf angemeldet hatten, weil sie nach einem Jahr Elternzeit wieder einen Vollzeitjob annehmen wollten. Weil sie aber erst mit einigen Monaten Verzögerung ihre Stellen antreten konnten, klagten sie auf den Ersatz von Beträgen zwischen 2200 und 7300 Euro. Der BGH verwies die Fälle an das Oberlandesgericht (OLG) Dresden zurück. Das neuerliche Verfahren ist allerdings keine bloße Formalie. Das OLG muss nun prüfen, ob der Stadt Leipzig ein Verschulden vorzuwerfen ist. "Es ist noch kein endgültiger Sieg der Klägerinnen", sagte der BGH-Senatsvorsitzende Ulrich Herrmann. "Damit geht die Sache erst richtig los."

Wann ein solches Verschulden vorliegt und wann nicht, das ist eine Frage des Einzelfalls. Denkbar wäre dem BGH zufolge etwa, dass die Stadt trotz intensiver Bemühungen keine qualifizierten Kräfte anwerben konnte oder dass sich Bauprojekte verzögerten - da ist die Stadt in der Beweispflicht. Klar ist aber: Die Kommune kann sich nicht darauf berufen, dass ihr das Geld zum Ausbau fehle. Der gesetzliche Anspruch auf einen Kitaplatz stehe nicht unter Kapazitätsvorbehalt, argumentierte der BGH (Az. III ZR 278/15 u.a.).

Umstritten war in dem Verfahren vor allem die Frage, ob der Anspruch auf einen Kitaplatz womöglich allein der frühkindlichen Förderung der Kinder dienen sollte. In diesem Fall hätten die Eltern keinen Anspruch geltend machen können, weil das Gesetz nicht zu ihrem "Schutz" erlassen worden wäre. Aus Sicht des dritten BGH-Zivilsenats ist Sinn und Zweck des Gesetzes aber eindeutig, Eltern eine baldige Rückkehr in den Beruf zu erleichtern. Dem Gesetzgeber sei es um die "Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen zur Erfüllung von Kinderwünschen" gegangen, befand der BGH.

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund rechnet allerdings nicht mit einer Klagewelle, weil der Kita-Ausbau in den vergangenen Jahren stark vorangetrieben worden sei. In der zurückliegenden Dekade seien rund 435 000 zusätzliche Kitaplätze entstanden, die Anzahl der betreuten Kinder habe sich seither mehr als verdoppelt. Die Ausgaben für die Kindertagesbetreuung - die weitgehend von den Kommunen zu tragen sind - seien von 8,5 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 26,6 Milliarden im vergangenen Jahr gestiegen.

© SZ vom 21.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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