Brüssel:Was die Kommission alles hütet

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Hätte die Bundesregierung jetzt nicht bei der Maut eingelenkt, hätte die EU den Europäischen Gerichtshof angerufen. Das muss sie nun nicht. Warum auf einmal das Mahnverfahren nicht mehr ganz so eilig ist.

Von Alexander Mühlauer

Der blaue Brief aus Brüssel war schon fertig, noch ehe Bundespräsident Joachim Gauck vor zehn Tagen den Füller zum Unterzeichnen der Maut-Gesetze zückte. Die EU-Kommission wollte keine Zeit verlieren. Denn ursprünglich sollte die Abgabe nach dem Willen der Bundesregierung bereits von Januar 2016 an erhoben werden können - theoretisch jedenfalls. Bis dahin aber wollte die Behörde aus Brüssel Klarheit für die Bürger schaffen, ob die deutschen Mautpläne gegen Europarecht verstoßen. Zeitlich wäre das nur gegangen, wenn der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Eilverfahren noch in diesem Jahr ein Urteil gefällt hätte. Deshalb die Hast in Brüssel. Hätte es Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) also darauf angelegt, hätte er noch im Herbst Gewissheit gehabt.

Nun hat er aber bekannt gegeben, die Maut doch nicht so schnell einführen zu wollen. Und auch in Brüssel hat es niemand mehr so ganz eilig. Denn es gilt: solange kein Richterspruch, solange keine Maut.

Was jetzt auf Deutschland zukommt, ist ein Vertragsverletzungsverfahren. Gemäß Artikel 258 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union kann die Kommission als Hüterin der Verträge rechtliche Schritte gegen einen Mitgliedsstaat einleiten, der seinen Verpflichtungen gemäß dem EU-Recht nicht nachkommt. Aus Kommissionssicht ist dies beim Maut-Gesetz der Fall, und deshalb hat die Bundesrepublik den entsprechenden Brief aus Brüssel erhalten.

Die deutschen Behörden haben zwei Monate Zeit, auf die Argumente einzugehen. Sollte die Kommission dann noch immer der Meinung sein, dass die deutschen Pläne gegen EU-Recht verstoßen, kommt eine neue Aufforderung der Kommission. Berlin hat wiederum zwei Monate Zeit, das Gesetz europarechtskonform zu machen. Geschieht das nicht, kann die Kommission Deutschland vor dem EuGH verklagen. In etwa 95 Prozent aller Vertragsverletzungsverfahren kommen die Mitgliedstaaten jedoch ihren Verpflichtungen nach, bevor der Gerichtshof sich mit der Sache befassen muss. Dobrindt zufolge will Berlin aber bis zum Schluss nicht nachgeben. Die Causa Maut wird also wohl vor dem EuGH landen. Das Urteil ist bindend.

Sollte Berlin es dennoch missachten, kann die EU-Kommission ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren einleiten. Nach einer schriftlichen Mahnung kann die Brüsseler Behörde erneut den EuGH anrufen. Wie die obersten Richter in Luxemburg dann entscheiden, kann sich eigentlich jeder denken. Die Frage bleibt nur, wie hoch die Geldstrafe ausfällt.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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