Brüssel:Vom Brexit bedroht

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Die Europäische Arzneimittel-Behörde wird nach Groß­britanniens EU-Austritt ihren Sitz in London räumen. Homo­sexuelle Mitarbeiter fürchten einen Umzug nach Osteuropa.

Von Daniel Brössler, Brüssel

Die 890 Mitarbeiter der Europäischen Arzneimittel-Behörde (EMA) muss man sich als glückliche Menschen vorstellen. Sie dürfen schon bald London verlassen und können sich in einer von 19 großartigen Städten in der Europäischen Union ansiedeln. So jedenfalls liest sich das in den bunten Prospekten, in denen die Bewerberstädte um die EMA buhlen.

Wie auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) muss die EMA spätestens bis zum EU-Austritt Großbritanniens am 29. März 2019 umziehen. Die Kandidaten werben nun mit allerlei Vorzügen. "Polen kennt keinen einheimischen Terrorismus, und auch über eine Tätigkeit bekannter Terrororganisationen in Polen gibt es keine Erkenntnisse", heißt es in der Warschauer Bewerbung. Allerdings ist es gerade die Bewerbung Warschaus und dreier weiterer Städte in Mittel- und Osteuropa, die zumindest einem Teil der EMA-Belegschaft Angst macht. In einem Brief haben sie sich an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, Ratspräsident Donald Tusk, Parlamentspräsident Antonio Tajani und ihren Behördenchef Guido Rasi gewandt, um ihrer Sorge Ausdruck zu verleihen, "dass unsere Rechte und Freiheiten, die gesetzlich im jetzigen Gastland garantiert und in EU-Recht verankert sind", durch die Verlegung bedroht würden. Es handelt sich um bei der EMA beschäftigte Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Menschen (LGBT). Sechs EU-Länder, allesamt im Osten der Union, erlauben keine gleichgeschlechtlichen Ehen oder Partnerschaften. Vier davon bewerben sich um die EMA.

Die ihnen drohende Benachteiligung müsse im Auswahlverfahren berücksichtigt werden, fordert die Gruppe. Sie nennt dabei keinen Staat ausdrücklich, aber offenkundig ist, dass sie als neue Heimat neben Warschau auch Bratislava, Bukarest und Sofia ablehnen. Mit der rechtlichen Schlechterstellung würden, so fürchtet sie, ganz konkrete Härten einher gehen. So bestehe ein "reales" Risiko, dass gleichgeschlechtliche Partner, die nicht EU-Bürger sind, keine Aufenthaltsgenehmigung am neuen EMA-Sitz erhalten. Ihren Brief haben die Mitarbeiter bereits Ende August verschickt. Eine Antwort erhielten sie bisher nur vom eigenen Chef, der sie wissen ließ, dass man ihre Sorgen ernst nehme.

Für die EU-Kommission ist das ganze Thema unangenehm. Einerseits will sie den Eindruck vermeiden, die Rechte von Homosexuellen nicht ernst genug zu nehmen. Andererseits hat Kommissionspräsident Juncker gerade erst in seiner Rede zur Lage der Union die Spannungen zwischen Ost und West beklagt, die nun nicht weiter verstärkt werden sollen. Klar gestellt hat die Kommission inzwischen, dass die LGBT-Frage keine Rolle bei der bis zum 30. September fälligen Beurteilung der Bewerbungen spielen könne, auf deren Grundlage dann die Mitgliedstaaten entscheiden. Eine Sprecherin verwies darauf, dass die EU-Kommission als "Hüterin der Verträge" grundsätzlich über die Einhaltung von EU-Recht wache. Doch das ebnet gleichgeschlechtlichen Partnern von EU-Bürgern das Recht auf Freizügigkeit in Richtlinie 2004/38/EG eben nur dann, "wenn nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt wird".

Die Städte, in denen das kein Problem ist, werben damit allenfalls indirekt. Bonn etwa. Das lobt sich als "offen, locker, tolerant".

© SZ vom 20.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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