Britischer Geheimdienst GCHQ:Spähen hinter Stacheldraht

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Satellitenschüsseln im Grünen: Der GCHQ-Außenposten in Bude (Foto: Kieran Doherty/Reuters)

Eigentlich ganz idyllisch: Von der südenglischen Ortschaft Bude aus überwacht der britische Geheimdienst GCHQ auch deutsche Datenverbindungen. Aber hält er sich auch an Recht und Gesetz? Das könnte sich bald nachvollziehen lassen - mittels 50.000 Geheimdokumenten, die Edward Snowden nach SZ-Informationen schon vor mehr als einem Jahr gesammelt hat.

Von John Goetz, Hans Leyendecker und Frederik Obermaier

Der Horchposten liegt hoch oben über der steilen Atlantikküste hinter zwei stacheldrahtbewehrten Zäunen: Haushohe Satellitenschüsseln, auch einige Häuser. Eine Kamera verfolgt die Schritte ungebetener Gäste. Sie surrt leise. Zunächst taucht kein Mensch auf. Nur die Kamera bewegt sich.

Das kasernenartige Gelände in der Ortschaft Bude im Südwesten Englands ist eine der wichtigsten Filialen des britischen Geheimdienstes Government Communications Headquarters (GCHQ) - eben jenes Dienstes, der unter dem Tarnnamen "Tempora" große Teile der Welt ausspähen will. Der Standort ist mit Bedacht gewählt, denn allein in der Ortschaft treffen sieben Unterseekabel auf die britische Küste: darunter TAT-14, das Deutschland mit Großbritannien und den USA verbindet und in Bude wohl tüchtig abgezapft wird.

Fragen? Unerwünscht

Dann ertönt aus dem Nichts eine männliche Stimme. Wer er ist, will der Mann nicht sagen, auch nicht, für wen er arbeitet. Er will aber die Namen, die Telefonnummern und das Anliegen der Besucher erfahren, dann hört man nur noch Surren. Reporter? Kurz darauf tauchen zwei Polizisten auf. Fragen sind beim GCHQ offenbar unerwünscht.

Aber es gibt immer mehr Fragen zu dem, was das GCHQ in Bude und andernorts so treibt. Der geheimste britische Geheimdienst rückt nun ins Zentrum der Affäre, die mit dem Namen des Whistleblowers Edward Snowden verbunden wird. Nachdem der NDR und Süddeutsche Zeitung berichtet hatten, dass das GCHQ mindestens 14 Überseekabel abschöpft, wurde für kommenden Dienstag eine Sondersitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums in Berlin einberufen.

Das muss nicht die letzte Sitzung zu dem Thema sein. "Der britische Dienst hat mündlich wie schriftlich versichert, sich an Recht und Gesetz in Deutschland zu halten", hat dazu ein Regierungssprecher erklärt. In Deutschland? Ob der Tatort nun Berlin oder Bude ist - kommt es auf diesen Unterschied im Digital-Zeitalter wirklich an? Das GCHQ habe doch "zugesagt, dass es keine flächendeckende Datenauswertung deutscher Bürger gibt", heißt es von dem Sprecher noch.

Reichlich Material

Vielleicht kann man bald den Wert der Zusage prüfen. Material gibt es reichlich. Tatsächlich ist der Umfang des von Snowden beschafften Materials über den britischen Dienst weit größer als bislang vermutet. Er hat nach SZ-Informationen mehr als 50.000 Geheimdokumente des GCHQ heruntergeladen. Und nach den Recherchen hat der Whistleblower mit der Beschaffung des GCHQ-Materials früher begonnen, als bisher vermutet wurde. Er soll die vielen britischen Dokumente zwischen Frühjahr und Frühsommer 2012 gesammelt haben. Dies soll auch aus elektronischen Fußabdrücken erkennbar sein, die Snowden bei dem Zugriff auf die Dokumente hinterlassen habe.

Von 2009 bis Anfang 2013 war Snowden Mitarbeiter des Computerherstellers Dell, zu dessen Auftraggebern der amerikanische Geheimdienst National Security Agency (NSA) gehört. Dell ist einer größten PC-Lieferanten von Regierungs-und Geheimdienstbehörden in den USA.

Außerdem ist das Unternehmen ein wichtiger Dienstleister im Bereich der Datenanalyse - einem klassischen Geheimdienstbereich, der in den Vereinigten Staaten vermehrt an externe Firmen gegeben wird, also durch Outsourcing. Nach Schätzungen der Washington Post hatten in den USA 265.000 Angestellte privater Unternehmen, ähnlich wie Snowden, Zugang zu "Top-Secret"-Informationen. Etwa 4,2 Millionen Menschen sollen Zugang zu Daten mit niedrigerer Geheimhaltungsstufe gehabt haben.

Wie ein Hacker denken

In Snowdens Zeit bei Dell fiel auch, wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, seine Ausbildung zum "zertifizierten ethischen Hacker". In einem Lehrgang sollten Sicherheitsspezialisten lernen, wie Hacker zu denken und ihre Techniken zu nutzen. Im Frühjahr dieses Jahres war Snowden dann zum NSA-Dienstleister Booz Allen Hamilton nach Hawaii gewechselt, für den er nur drei Monate tätig war. Auch bei Booz Allen soll er Material gesammelt haben. Dann setzte er sich mit Dokumenten über das GCHQ und die NSA nach Hongkong ab.

Am 21. Juni 2013 berichtete schließlich die britische Zeitung Guardian erstmals über "Tempora". Dass der Whistleblower bereits im Jahr 2012 heimlich Daten heruntergeladen und später bei Booz Allen Hamilton damit weitergemacht hat, lässt erahnen, dass Snowden systematisch Material über die Geheimdienstaktivitäten gesammelt hat. Ein Überzeugungstäter also.

2012 hat er zweimal jeweils 250 Dollar für Ron Paul, einen der Bewerber um die republikanische Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl, gespendet. Die erste Zahlung habe am 18. März stattgefunden, die zweite dann am 5. Juni 2012, erklärte ein Informant der SZ. Das war genau die Zeit, als Snowden heimlich die GCHQ-Unterlagen herunterlud. Gibt es zwischen der Lektüre und den Spenden einen Zusammenhang?

Aufklärer der neuen Zeit

Der libertäre Paul ist ein ungewöhnlicher Politiker. Er geißelt gerne die Kriegsrhetorik seiner Parteifreunde, wirbt für den Auszug der USA aus der Nato und die Auflösung des nach den Terroranschlägen vom 11. September gegründeten Heimatschutzministeriums. Gleichzeitig ist er für radikale Steuersenkungen wie ein gewöhnlicher Republikaner. Der 78-Jährige forderte jüngst auch die Freilassung des verurteilten Ex-Geheimdienstanalysten Bradley Manning, weil dieser der Bevölkerung "die Wahrheit zugänglich" gemacht habe.

Paul erklärte auch, dass er Snowden "hoch" achte. Man dürfe den Aufklärer der neuen Zeit "nicht als Verräter brandmarken", sagte der alte Republikaner über Snowden. Die Dokumente des Whistleblowers können derweil noch viel Wirbel verursachen - vielleicht auch in Deutschland.

© SZ vom 30.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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