Brexit:Vorwärts in die Vergangenheit

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Königsblaue Pässe sollen den Nationalstolz der Briten beleben.

Von Cathrin Kahlweit

Weiß ist die Unschuld, Schwarz die Trauer, Rot die Liebe. Blau steht in vielen Ländern für Treue, Harmonie oder Frieden. Die Briten mögen es da etwas pathetischer: Die Farbe Königsblau sei ein Zeichen für Unabhängigkeit und Souveränität, "Spiegel einer stolzen, großen Nation", sagt Premierministerin Theresa May. Blau sei "Kult", findet Innenstaatssekretär Brandon Lewis, und eine "einzigartige Gelegenheit, unsere nationale Identität zurückzuerobern". Lewis hatte zu Weihnachten die Ehre, der Nation die große Nachricht zu verkünden, die seither von der Brexit-Presse frenetisch gefeiert wird: Nach dem Brexit wird der britische Pass wieder blau sein. Nicht mehr rot, wie zu EU-Zeiten. Gott sei Dank.

Quasi als Geschenk ans Volk hat die Regierung angekündigt, dass von Herbst 2019 an jeder, der einen Pass beantragt oder erneuert, ein Modell ohne EU-Signatur und in "ikonischer" Einfärbung mit Goldaufdruck erhält. Seither gibt es, abgesehen vom Weihnachtsbesuch von Prinz Harrys Verlobter Meghan Markle bei der königlichen Familie, kein anderes Thema - und auch kein Halten mehr. Denn die Passfarbe hatte, man mag es kaum glauben, jahrzehntelang als Frage der nationalen Ehre gegolten. Seit Ende der Achtzigerjahre werden britische Pässe in Burgunderrot ausgegeben, weil das in der EU so üblich ist. Zwar hätte London, was in der hitzigen Debatte gern verschwiegen wird, die Möglichkeit gehabt, beim Blau zu bleiben. In der Ära Thatcher wurde, wie für vieles andere auch, für die Passfarbe eine Ausnahmeregelung vereinbart; Kroatien etwa nutzt diese für sich und gibt blaue Pässe aus. Die britischen aber wurden rot.

Echte Patrioten und hartleibige Brexiteers empfinden es seither als "erniedrigend", dass es das 1921 eingeführte Blau nicht mehr gibt. Wer das lächerlich finde, sei kein wahrer Patriot und mache sich über die einfachen Leute lustig, denen die nationale Ehre noch etwas bedeute, sagen die einen. Das alles sei an Peinlichkeit nicht zu überbieten, sagen die anderen, zumal das Reisen in Europa, wo viele bevorzugte Ferienziele der Briten liegen, schwieriger werden könnte. Ein Labour-Abgeordneter beschwert sich: "Hier soll die Uhr um hundert Jahre zurückgedreht werden - mit unerfreulichen imperialen Untertönen."

Neben dem Streit über die Geste an sich wird zunehmend über Details gestritten. Es ist nämlich möglich, dass die neuen Pässe in Deutschland oder Frankreich gedruckt werden. Das wäre eine "zweite Demütigung", heißt es aus dem Brexit-Lager. Außerdem werden die neuen Pässe zwar blau sein, aber nicht dunkelblau wie früher, dafür größer als die alten und technisch aufgerüstet. Denn als Reisedokumente müssen sie auch in Zukunft den Vorgaben der International Civil Aviation Organization (ICAO) genügen.

In Wirklichkeit wird also nichts, wie es war, betonen Leitartikler und Leserbriefschreiber. Der Guardian hat gleich mal eine Liste veröffentlicht, was noch zurückgeholt werden könne, um der Nation ihren Stolz wiederzugeben: die alten Maßeinheiten Pounds und Ounces. Kostenlose Milch in Schulen. Drakonische Strafen. Bei hochseriösen Umfragen wollten nämlich 52 Prozent der Brexit-Befürworter die alten Pässe zurück. Und 53 Prozent die Todesstrafe.

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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