Brexit:Angst vor einer harten Grenze

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Theresa May verlässt am Mittwoch ihren Dienstsitz 10 Downing Street, um zur wöchentlichen Fragestunde ins Parlament zu fahren. (Foto: Daniel Leal-Olivas/AFP)

In den Verhandlungen erweist sich die Nordirland-Frage als einer der heikelsten Punkte. Auf dem Spiel steht nicht zuletzt der Frieden.

Von Björn Finke, London

Den Durchbruch sollte ein eher technischer Begriff bringen: regulatory alignment, das Angleichen von Regeln. Die Regierung in London hoffte, mit dieser schwammigen Phrase die Furcht des Nachbarn Irland zu zerstreuen, der EU-Austritt werde die unsichtbare Grenze zwischen der Republik und Nordirland wieder sichtbar machen. Doch die nordirische Regionalpartei DUP, auf die Premierministerin Theresa May angewiesen ist, blockierte das Ansinnen. Wieso ist der Brexit ein so großes Problem für Irland? Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Warum ist die Grenzfrage für Irland so heikel?

Während des Bürgerkriegs in Nordirland waren viele Grenzübergänge zur Republik geschlossen. An den offenen Übergängen kontrollierten Sicherheitskräfte die Reisenden, um zu verhindern, dass Terroristen oder Waffen die Grenze passieren. Das Karfreitagsabkommen 1998 stellte einen - manchmal brüchigen - Frieden her. Heute ist die Grenze kaum mehr sichtbar. Es gibt keine Zöllnerhäuschen und Schlagbäume, Menschen auf beiden Seiten fahren täglich ins andere Land, um einzukaufen, zu arbeiten oder Fachärzte zu sehen. Müssten nach dem Brexit Grenzbeamte Laster anhalten, würde das der Wirtschaft im Norden und Süden schwer schaden. Außerdem könnten britische Grenzanlagen zum Ziel für radikale Nationalisten aus Nordirland werden, die den Friedensprozess ablehnen. Die Unruhen könnten wieder losgehen.

Warum könnten Kontrollen nötig sein?

Auf der irischen Insel verläuft die einzige Landgrenze Großbritanniens. Mit dem Brexit wird sie zur EU-Außengrenze. Selbst wenn dank eines Freihandelsabkommens keine Zölle zwischen Königreich und EU eingeführt werden, könnten Grenzkontrollen nötig sein. Schließlich will die britische Regierung auch die Zollunion der EU verlassen und eigene Freihandelsverträge mit Wirtschaftsmächten wie den USA abschließen. US-Firmen könnten dann zollfrei Waren nach Nordirland exportieren, für die in der Republik Irland Zölle anfallen, denn zwischen EU und den Vereinigten Staaten existiert kein Handelsabkommen. Prüfen Grenzbeamte nicht zumindest stichprobenartig Lastwagen, könnten die unverzollten Waren in die Republik und damit in die EU gelangen. Der EU-Zoll würde über den Umweg Nordirland ausgehebelt.

Sind Zollkontrollen also nur ein Problem für Irland und die EU?

Manche Brexit-Enthusiasten in London argumentieren, Großbritannien solle einfach einseitig verkünden, an der Grenze nicht zu kontrollieren. Irland und die EU würden es schon nicht wagen, Zöllnerhäuschen zu errichten. Doch das ist Unsinn. Großbritannien wird keine Handelsabkommen mit Staaten wie den USA abschließen können, wenn London nicht überwacht, welche Güter aus der EU ins Königreich eingeführt werden. Schließlich müsste Washington ansonsten befürchten, dass EU-Firmen Waren nach Nordirland schaffen, die von dort dank des Freihandelsvertrags zollfrei in die USA weiterreisen.

Geht es denn nur um Zölle?

Nein, auch um Regulierung. Großbritannien will nach dem Brexit nicht Mitglied im EU-Binnenmarkt bleiben und könnte daher Produktstandards ändern. Die USA sind sehr erpicht darauf, dass London im Rahmen eines Freihandelsvertrags die Einfuhr von hormonbehandeltem Rindfleisch und mit Chlor desinfizierten Hühnchen erlaubt. Gibt die Regierung hier nach, müssten irische Grenzer verhindern, dass solches Fleisch in die EU gelangt. Bisher ist die Lebensmittelbranche auf der Insel eng verzahnt. Lämmer aus dem Norden werden in der Republik geschlachtet, Schweine aus dem Süden in Nordirland. Gelten in Nordirland laxere Verbraucherschutz-Regeln, ist das nicht mehr so leicht möglich.

Was sieht der blockierte Kompromissvorschlag der Premierministerin vor?

Theresa May wollte Irland und der EU zusichern, dass sich die Regeln im Norden und Süden der Insel nach dem Brexit in wichtigen Bereichen möglichst wenig unterscheiden. Weichen Produktstandards und Zölle nicht großartig voneinander ab, sind Grenzkontrollen vielleicht nicht nötig. Aber die Formulierung ist bewusst schwammig gehalten; London will nicht versprechen, EU-Standards weiter zu beachten, an deren Festlegung das Land nicht mehr beteiligt sein wird. Und die Lösung, dass in Nordirland weiter EU-Regeln gelten und im Rest Großbritanniens nicht, würde Kontrollen zwischen Nordirland und dem übrigen Königreich erzwingen. Das will May nicht - und erst recht nicht die Regionalpartei DUP.

© SZ vom 07.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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